Wege aus der Überschuldungsspirale

02.09.2024
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In der vergangenen Sommersession hat das Parlament einen historischen Entscheid gefällt: Die laufenden Steuern müssen bei der Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums berücksichtigt werden. Der Bundesrat muss nun einen Entwurf zur Änderung des Betreibungsrechts vorlegen. Wird der Wille des Parlaments umgesetzt, hat dies für überschuldete Personen erhebliche Auswirkungen, da die Überschuldungsspirale gebremst wird.

Im Rahmen eines Betreibungsverfahrens kann nur das Einkommen gepfändet werden, welches das Existenzminimum des Schuldners und seiner Familie übersteigt. Dieses Existenzminimum umfasst die Ausgaben, die für den Lebensunterhalt des Schuldners als unerlässlich gelten: Miete, Krankenkassenprämien, Berufsauslagen usw. Das Existenzminimum wird von den Steuerbehörden nicht berücksichtigt. Die Steuern gehören nicht zum Existenzminimum, obwohl sie einen unerlässlichen Aufwand darstellen, den der Schuldner aufbringen muss. Das betreibungsrechtliche Existenzminimum ist somit unvollständig, die Steuerlast kann nicht beglichen werden, was zur Überschuldung führt oder diese verstärkt.

Dieses Problem beschäftigt die Politik seit Langem, und zahlreiche Vorstösse wurden im Parlament eingereicht und diskutiert, bisher jedoch ohne Folgen. Es war also dringlich, dass der Gesetzgeber handelt und damit überschuldeten Schuldnern die Hoffnung gibt, eines Tages den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Denn entgegen der weitverbreiteten Meinung ist Überschuldung kein individuelles Problem, das auf eine schlechte Haushaltsführung zurückzuführen ist; ein Fehler, für den der Schuldner ewig büssen soll. Gegenwärtig lebt jede sechste Person in einem Haushalt mit mindestens einem Zahlungsrückstand, und jede vierte Person war bereits mit einem Betreibungsverfahren konfrontiert. Überschuldung ist weitverbreitet und hat sich zu einem systemischen Risiko unserer Gesellschaft entwickelt, das mit Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung usw. gleichgesetzt werden muss. Um auf diese Situation zu reagieren, müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden. 

Darüber hinaus wurden in diesem Bereich weitere Gesetzesänderungen vorgenommen bzw. werden derzeit diskutiert, die darauf hindeuten, dass ein Bewusstsein für diese Problematik entstanden ist und sich die Rahmenbedingungen ändern können. So werden beispielsweise junge Erwachsene seit dem 1. Januar 2024 nicht mehr für Krankenkassenschulden belangt, die ihre Eltern während ihrer Minderjährigkeit nicht bezahlt haben. Das neue Sanierungsverfahren für Privatpersonen, das neue Wege zur Entschuldung eröffnen soll, wird voraussichtlich 2025 von den Kammern diskutiert. 

Für die Soziale Arbeit ist das Thema Überschuldung ein Schwerpunktthema. Ihre negativen Auswirkungen – auf die Gesundheit, die Wohnsituation, die Arbeitssuche oder die Ausbildung der Kinder – sind gut dokumentiert. Die grosse Mehrheit der Sozialhilfeempfänger ist überschuldet, was ihre Wiedereingliederung erheblich behindert und zu Scham und Stigmatisierung beiträgt. Für die Akteure der Sozialarbeit wird es wichtig sein, die Möglichkeiten zu nutzen, die die gesetzlichen Entwicklungen bieten, um Menschen mit solchen Schwierigkeiten besser zu unterstützen.

Amanda Ioset
Generalsekretärin Artias