Ziel des Forschungsprojekts ist die optimale Unterstützung der Sozialdienste.
Fachbeitrag

Digitale Transformation Sozialer Dienste: ein Forschungsbericht

07.06.2021
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Eine Umfrage der Hochschule Luzern wollte erfahren, wo Sozialdienste in ihrem Digitalisierungsprozess stehen und wie die Dienste in einem Forschungsprojekt unterstützt werden könnten. Die Ergebnisse dieser Vorstudie zeigen einen grossen Bedarf.

Gemäss Fachliteratur hinkt der Sozialbereich der Entwicklung der digitalen Transformation hinterher. Die Treiber für die Digitalisierung der Sozialdienste liegen vor allem in der Verwaltung und in den ICT-Firmen. Sozialarbeiterische Fachlichkeit wird dabei oft vernachlässigt. Einzelne Sozialdienste und Individuen haben, seit Covid-19 verstärkt, ihre eigenen Wege und Lösungen mit digitalen Medien entwickelt. Nach aktuellem, wenn auch eher bescheidenem Forschungsstand sind Strategien, Konzepte oder Betriebskulturen im Umgang mit der digitalen Transformation bei Sozialen Diensten selten anzutreffen. Mit einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Hochschule Luzern sollen die Sozialen Dienste in der digitalen Transformation unterstützt werden. Ziel ist es, die Transformation auch sozialarbeiterisch mitzugestalten.

Um genauer zu eruieren, wo die Schwierigkeiten und Interessen der Praxis liegen, führte das Forschungsteam eine explorative, nicht repräsentative Vorstudie durch. Ausgehend vom aktuellen Forschungsstand wurden drei Themenbereiche eruiert: 1. Kommunikation, Information und Beratung, 2. Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation, 3. Datenmanagement. Weil die digitale Transformation auch als Organisationsentwicklungsprozess verstanden wird, interessierte das Forschungsteam auch, wie dieser Prozess in der Praxis gestaltet wird. Per Onlinefragebogen konnten Sozialdienste eine Selbst- und eine Potenzialeinschätzung abgeben. An dieser quantitativen Umfrage nahmen 23 Organisationen teil. Der Grossteil der Organisationen war im Bereich Sozialhilfe auf Gemeindeebene tätig, einige Dienste waren polyvalent und einzelne in einem ganz anderen Bereich tätig. Etwa die Hälfte der Umfrageteilnehmenden kam aus kleinen bzw. mittleren Einzugsgebieten, den grössten Anteil machten Organisationen mit Einzugsgebieten von über 25 000 Personen aus. Die meisten Antwortenden arbeiteten auf Leitungsebene.

Um diese Ergebnisse und Sichtweisen der Praxisorganisationen besser zu verstehen und die Themen zu vertiefen, wurden im Anschluss an die Onlinebefragung zwei Fokusgruppeninterviews geführt. Teilgenommen haben Sozialdienstleitende mit teilweise sehr fortgeschrittenen Transformationsprojekten, Sozialarbeitende, Personen aus der Verwaltung, von spezifischen Beratungsstellen und Fachexpertinnen und -experten. Nachfolgend zusammengefasst die Ergebnisse der Befragungen.

Kommunikation, Beratung und Information

In der Kommunikation/Beratung mit Klienten sowie mit anderen Abteilungen und Behörden wurde in der digitalen Transformation betreffend Effizienz/Effektivität, Datenschutz und Anpassung an den Bedarf ein sehr grosses Potenzial gesehen. Im Bereich der Information unterschieden sich die Antworten deutlich: Während sich die Hälfte der Antwortenden im Mittelfeld verortete, lagen die Antworten der anderen Hälfte weit auseinander: bei sehr tiefer bzw. bei sehr hoher Selbsteinschätzung. Bei der digitalen Informationsbeschaffung für die Mitarbeitenden hingegen, beispielsweise über Klientinnen und Klienten sowie über nutzbare Angebote wie Heime, Programme der Arbeitsintegration und anderem, waren zwei Drittel der Antwortenden der Meinung, dass diese nicht ausreichend möglich sei. Diese Einschätzungen waren unabhängig von der Grösse der Organisation.

Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation

Man war sich einig, dass in der digitalen Transformation betreffend Gestaltung von Arbeitsprozessen mit anderen Abteilungen oder Behörden grosses Potenzial liegt. Die Zustimmung zu dieser Aussage war die höchste. Fast die Hälfte der Organisationen stimmte vollumfänglich zu, kleine und mittlere Organisationen noch etwas mehr als die grossen. Drei Viertel der Organisationen sahen im Bereich der Prozesse mit Klientinnen und Klienten Potenzial. Hier stimmten die grossen Organisationen überdurchschnittlich und die mittleren Organisationen unterdurchschnittlich zu.

Datenmanagement

Bei der Erhebung, Nutzung und Weitergabe von Daten wurde die eigene Situation als noch unbefriedigend und das Potenzial als gross und noch weitgehend ungenutzt eingeschätzt. Betreffend Datenschutz erachteten 70 Prozent der Antwortenden die Erhebung, Nutzung und Weitergabe der Daten als nicht oder eher nicht ausreichend rechtskonform. Bei den kleineren und mittleren Sozialdiensten wurde dem Problem mehr Gewicht beigemessen als bei den grossen.

Während das Potenzial in der Kommunikation und bei den Arbeitsprozessen am grössten eingeschätzt wurde, genoss das Datenmanagement gegenüber der Kommunikation höhere Priorität. Bei den Arbeitsprozessen stimmen Potenzial und Priorität überein.

Digitale Transformation als OE-Prozess

Während die Organisationen der digitalen Transformation grundsätzlich positiv gegenüberstehen und der Ansicht sind, die Mitarbeitenden darin zu fördern, fehlen offenbar vor allem bei den kleinen Sozialdiensten die personellen, finanziellen und technischen Ressourcen dazu.

Die Hypothese, dass die Transformation hauptsächlich top-down und durch die ICT-Abteilungen gesteuert werden, bestätigte sich. Mitarbeitende sind weniger beteiligt, möglicherweise auch weniger interessiert, weil sie einerseits die persönliche Beziehung im direkten Kontakt als sehr wertvoll erachten und anderseits befürchten, die sehr sensiblen Daten über ihre Klientinnen und Klienten könnten missbraucht werden. Bei den kleinen Sozialdiensten ist die Beteiligung der Mitarbeitenden deutlich grösser als bei den mittleren und grossen. Beinahe gänzlich unbeteiligt an der Transformation sind im übrigen die Betroffenen, die Klientinnen und Klienten.

In den Gesprächen wurde deutlich, dass die Transformation als Prozess der Organisationsentwicklung verstanden werden sollte, an dem alle Anspruchsgruppen beteiligt sein sollten. Die Transformation bedeute einen Kultur- und Strukturwandel und müsse in den Köpfen der Menschen beginnen. Das wirtschaftliche Potenzial wird auf etwa sechs Prozent des Stellenvolumens geschätzt.

Visionen über digitale Transformation Sozialer Dienste

Die befragten Sozialdienste sahen die Potenziale darin, dass auf unterschiedlichen Kanälen, je nach Klientenbedarf und je nach Situation, mit Klientinnen und Klienten kommuniziert wird. Ein deutlicher Ausbau der autonomen Information der Bevölkerung und der Leistungsbeziehenden könnte vor allem für die Intakes sehr entlastend und aus der Perspektive der Kundinnen und Kunden ebenfalls angenehmer und effizienter sein als der persönliche Gang zum «Sozialamt». Auch die Fachpersonen könnten durch digitales Wissensmanagement besser an Information gelangen und so kompetenter beraten und betreuen.

Arbeitsprozesse sollten grundsätzlich neu und aus «Kundenperspektive» gedacht werden, wobei ein Sozialdienst nicht nur Klienten, sondern auch Behörden und andere Anspruchsgruppen bedient. Wichtig ist, dass dabei administrative Prozesse weitgehend automatisiert werden können und ohne Bruchstellen ins Analoge funktionieren. Bei all diesen transformierten Prozessen muss ein besonderes Augenmerk auf den Datenschutz für alle Beteiligten gerichtet werden.

Forschungsprojekt: Unterstützung der Sozialdienste

Die Hochschule Luzern plant ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, um Soziale Dienste in diesen Themen zu unterstützen. Dazu ist die Hochschule auf Partner aus der Praxis sowohl seitens Sozialdienste als auch seitens Privatwirtschaft (ICT-Anbietende, Betriebswirtschaftsexpertinnen und -experten, Begleitende für Organisationsentwicklung) angewiesen. Es wird bestimmt eine sehr praxisnahe und aufschlussreiche Forschungsreise mit nützlichen Ergebnissen! Falls Sie dabei sein möchten oder an weiteren Informationen interessiert sind, haben Sie die Möglichkeit dazu unter www.hslu.ch -> Forschung -> Soziale Arbeit. 

Silvia Domenico Pfister
Hochschule Luzern – Soziale Arbeit