Der begleitete Übergang von der Sozialhilfe in den Ruhestand
Um von der Sozialhilfe unterstützte Personen beim Übergang in den Ruhestand besser zu begleiten, hat die Generaldirektion für sozialen Zusammenhalt (DGCS) in Lausanne 2022 ein Projekt ins Leben gerufen. Das Projekt wurde gemeinsam mit Betroffenen gestaltet und konzentriert sich vor allem auf eine bessere Vorbereitung des Übergangs ins Rentensystem.
Gemäss Statistik wird bis 2040 jede fünfte Person im Kanton Waadt 65 Jahre oder älter sein, und die Zahl der über 80-Jährigen wird sich verdoppeln. Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat das Departement für Gesundheit und Soziales (DGS) eine neue kantonale Alterspolitik ins Leben gerufen: «Vieillir 2030» (älter werden 2023). In diesem Zusammenhang ist auch das Pilotprojekt SH-Rente zu sehen, das darauf abzielt, die Bezügerinnen und Bezüger von Sozialhilfe beim Übergang in den Ruhestand besser zu begleiten.
Kurz vor der Pensionierung sehen sich unterstützte Personen einerseits den wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheiten ausgesetzt und müssen gleichzeitig Herausforderungen begegnen, die mit dem Altern verbunden sind. Diese Personengruppe kumuliert Risikofaktoren, die eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands mit zunehmendem Alter begünstigen. Im Kanton Waadt vollziehen jährlich mehr als 300 Personen diesen Wechsel. Ganz konkret bedeutet dieser Übergang administrative und praktische Veränderungen, wie die Übernahme der Zahlung der Arztkosten und die Verwaltung der Rückerstattungen mit dem Versicherer. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Übergang oft Stress und Unsicherheit mit sich bringt. Der Austritt aus dem Sozialdienst und generell der Übergang zwischen verschiedenen Sozialsystemen sind Wendepunkte, die besondere Aufmerksamkeit erfordern.
Der Kanton Waadt verfügt seit 2011 über ein kantonales System der Überbrückungsrente. Es ermöglicht Personen, die ihren Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ausgeschöpft haben, das AHV-Alter zu erreichen, ohne auf Sozialhilfe angewiesen zu sein oder ihre künftigen Renten erheblich kürzen zu müssen. Diese Regelung steht auch unterstützten Personen ab 61 Jahren offen und ermöglicht es, die Übergangszeit zwischen Sozialhilfe und AHV-Rentenanspruch finanziell zu überbrücken.
Für die persönliche Hilfe (Wohnhilfe, Verwaltungsmanagement, Inanspruchnahme von Pflegeleistungen) gibt es jedoch keinen standardisierten Prozess. Eine unterstützte Person kann bei Bedarf die Unterstützung eines Sozialarbeiters beantragen. Beim Austritt aus der Sozialhilfe, insbesondere wenn eine Überbrückungsrente beantragt wird, gibt es jedoch weder eine systematische Bewertung des Bedarfs an persönlicher Unterstützung noch einen klaren Prozess für die Kontaktaufnahme mit geeigneten Anbietern, die die Unterstützung übernehmen könnten. Diese Lücke kann die Isolation und Verletzlichkeit dieser Personen verstärken. Die DGCS ist sich dieser Tatsache bewusst und hat daher 2022 das Pilotprojekt SH-Rente ins Leben gerufen. Dieses Projekt ist als agiles und partizipatives Projekt konzipiert.
Beteiligung der Betroffenen als Mehrwert
Um die Bedürfnisse möglichst genau abzudecken, setzte die DGCS bei diesem Projekt auf Partizipation, um die Erfahrungen der betroffenen Zielgruppe in die Gestaltung dieses neuen Begleitungsangebots einzubeziehen. 15 ehemalige, von der Sozialhilfe unterstützte Personen wurden eingeladen, ihre Erfahrungen beim Übergang in den Ruhestand zu schildern und mögliche Ansätze zur Lösung der aufgetretenen Probleme vorzuschlagen.
Dieser partizipative Ansatz erwies sich als echter Mehrwert für das Projekt. Er machte es möglich, die konkreten Bedürfnisse der Betroffenen in das Projekt einfliessen zu lassen. Einer der Punkte, auf den die Gruppe der ehemaligen unterstützten Personen hinwies, ist der Mangel an Informationen über die Lebensbedingungen nach der Pensionierung. Daher wurde der Schwerpunkt auf den Zugang zu Informationen in verschiedenen Formen gelegt.
Darüber hinaus brachte der Einbezug der Vertreterinnen und Vertreter der Zielgruppe zum Aufbau des Projekts viele nützliche Erkenntnisse über die Methodik der Partizipation. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Umsetzung eines solchen Ansatzes im Vorfeld der Projektumsetzung Zeit und viel Fachwissen über das Thema erfordert. Diese Phase wurde von zwei Expertinnen für partizipative Methodik des nationalen Programms zur Bekämpfung der Armut begleitet und unterstützt.
Das Projekt wurde nicht nur gemeinsam mit den betroffenen Personen entwickelt, sondern auch in Zusammenarbeit mit den Fachleuten vor Ort, die direkt mit diesen Personen arbeiten. Die Projekteinführung erfolgt in zwei Phasen: zunächst mittels einer Testphase in zwei Regionen des Kantons, um regelmässige Rückmeldungen der Fachkräfte zu gewinnen und die vorgeschlagenen Instrumente nach und nach anpassen zu können. In einer zweiten Phase soll eine allgemeine Einführung im gesamten Kanton in Betracht gezogen werden.
Ziel eines reibungslosen Übergangs
Im Anschluss an diese Konzeptphase wurde der Prozess definiert, unter Einbezug von Betroffenen wie auch von Fachpersonen. Dieser wird derzeit in den Regionen Riviera (Vevey) und West (Nyon) in der Praxis getestet. Dieser Prozess beinhaltet zum einen eine bessere Antizipation und zum anderen die Bereitstellung von Informationen rund um die Rentensysteme.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt ist, dass der Übergang zwischen zwei Systemen Zeit benötigt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, diesen Ausstieg gut vorzubereiten, indem die betroffenen Personen bereits sechs Monate vor dem Übergang von der Sozialhilfe in die Altersvorsorge identifiziert werden (im Vergleich zu bisher zwei Monaten) Diese frühere Antizipation ermöglicht zumindest die Planung eines systematischen Gesprächs mit einem Sozialarbeiter, um die Bedürfnisse der Person abzuholen. Wenn die Person ausreichend selbstständig ist und keine besonderen Schwierigkeiten hat, kann ein solches Gespräch ausreichen. Wenn die Person jedoch eine intensivere Betreuung benötigt, hat die Fachkraft die Zeit, die Person bei den verschiedenen Schritten zu unterstützen und gegebenenfalls entsprechende Übergänge zu organisieren.
Um einen besseren Informationsfluss zu gewährleisten und den neuen Lebensabschnitt besser zu bewältigen, haben die unterstützten Personen die Möglichkeit, an Vorbereitungskursen für den Ruhestand teilzunehmen. Diese Kurse vermitteln Informationen zu finanziellen und administrativen Aspekten, aber auch zu psychosozialen Gesichtspunkten, die für alle Personen, die das Rentenalter erreichen, eine Herausforderung darstellen. Ausserdem wird den Personen eine regionale Broschüre der bestehenden Hilfen ausgehändigt, damit sie sich selbstständig in den sozialmedizinischen Einrichtungen nach ihren Bedürfnissen orientieren können.
Nach fast neun Monaten Testphase besteht eine der grossen Herausforderungen nach wie vor darin, dass es schwierig ist, nach dem Austritt aus der Sozialhilfe eine Weitervermittlung zu organisieren. Einerseits suchen die unterstützten Personen kaum Unterstützung; sie äussern nur wenige Bedürfnisse und möchten vor allem nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sein. Für jene die Unterstützung wünschen, ist es andererseits sehr herausfordernd, die richtigen Schritte einzuleiten, da die anbietenden Institutionen oft Zugangskriterien haben (Gesundheitsprobleme, Mindestalter, ...). Das macht es manchmal schwierig, den richtigen Ansprechpartner zu finden.
Lektionen und Herausforderungen
Durch den Einbezug der Betroffenen in die Projektentwicklung konnte der Mehrwert der partizipativen Methodik aufgezeigt werden. Darüber hinaus trägt er auch über das Projekt SH-Rente hinaus Früchte, da einige der Teilnehmenden anschliessend an anderen partizipativen Verfahren auf kantonaler und eidgenössischer Ebene beteiligt wurden.
Konkret bedeutete die Einführung des Projekts SH-Rente, dass alle unterstützten Personen vor dem Verlassen der Sozialhilfe eine Sozialarbeiterin treffen konnten und dank der Überbrückungsrente besser über die Lebensbedingungen informiert wurden. Langfristiges Ziel ist es daher, diesen Ansatz auf den gesamten Kanton Waadt auszuweiten und bei Übergängen zu anderen Systemen wie der Invalidenversicherung oder den Ergänzungsleistungen für Familien auf diese Erfahrung zurückzugreifen.
Schliesslich konzentrieren sich die Herausforderungen dieses Projekts vor allem auf die Organisation der Weitervermittlung nach dem Austritt aus der Sozialhilfe. Ausgehend von der Feststellung, dass nur wenige Bedürfnisse geäussert werden, ist es wesentlich, so viele Informationen wie möglich über das sozialmedizinische Netz zu vermitteln, damit sich die Person zum gegebenen Zeitpunkt selbst orientieren kann. Diese Feststellung regt auch dazu an, über innovative Vermittlungen wie die Einrichtung von Peer-Gruppen nachzudenken.