Erwerbstätige, die nach einer Langzeitarbeitslosigkeit wieder eine Stelle gefunden haben, erzielen mehrheitlich ein deutlich tieferes Einkommen.
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Zwischen Aussteuerung und Sozialhilfebezug – rasches Handeln ist angezeigt

04.06.2023
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Jede sechste neue Anmeldung in der Sozialhilfe erfolgt von einer Person, die zuvor von der Arbeitslosenversicherung (ALV) ausgesteuert wurde. Zwischen der Aussteuerung und dem Sozialhilfebezug können Monate oder Jahre vergehen, da die Betroffenen, sofern vorhanden, zunächst Ersparnisse oder Vermögen verzehren oder sich verschulden. Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, umso anspruchsvoller ist es, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Es ist daher zentral, rasch zu handeln und die Zeit auch nach der Aussteuerung möglichst optimal zu gestalten. Ein neues Positionspapier der SKOS.

Als langzeitarbeitslos werden Personen bezeichnet, die länger als ein Jahr bei einem RAV als arbeitslos gemeldet sind (SECO, 2021). Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der Gesamtbevölkerung war gemäss dieser Definition seit 2012 bis vor der Corona-Pandemie stabil. Im Verlauf der Pandemie ist die Zahl langzeitarbeitsloser Personen markant gestiegen: Während im Mai 2019 14 346 Langzeitarbeitslose registriert waren, wurde im Mai 2021 der Höchststand während der Pandemie mit 34 528 Personen erreicht. Im Dezember 2022 waren dann wieder 14 129 Langzeitarbeitslose gemeldet, wie die Arbeitsmarktstatistik (Amstat) 2023 zeigt.

Werden hingegen alle Personen der ständigen Wohnbevölkerung berücksichtigt, die ohne Arbeit sind, eine Stelle suchen und innert kurzer Zeit verfügbar sind, also beispielsweise auch stellensuchende Sozialhilfebeziehende, beliefe sich diese Zahl gemäss den Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 2020 auf rund 61 000 Personen. Die Risikofaktoren für Langzeitarbeitslosigkeit sind bekannt: fehlende berufliche Qualifikation, eine IV-Rente, Arbeitslosigkeit im Alter von 45 Jahren und mehr sowie eine ausländische Nationalität. Wer einmal langzeitarbeitslos ist, hat negative Auswirkungen auf die Berufskarriere zu befürchten. Einerseits sinken die Chancen, erneut eine Anstellung zu finden. Andererseits erzielen die Erwerbstätigen, die nach einer Langzeitarbeitslosigkeit wieder eine Stelle gefunden haben, mehrheitlich ein deutlich tieferes Einkommen. Sei es aufgrund eines tieferen Arbeitspensums oder eines tieferen Lohnsatzes.

Massnahmen zur Verminderung der Langzeitarbeitslosigkeit

Im Mai 2019 hat der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials beschlossen. Sieben Massnahmen werden im Rahmen von zeitlich befristeten Projekten und Programmen umgesetzt. Damit soll die Konkurrenzfähigkeit von älteren Arbeitskräften erhöht und sollen schwer vermittelbare Stellensuchende besser unterstützt werden. Ferner sollen in der Schweiz lebende Ausländerinnen und Ausländer besser in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Die SKOS empfiehlt in ihrem Positionspapier ebenfalls eine Reihe von Massnahmen, mit dem Ziel, die Arbeitsmarktfähigkeit von Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Insbesondere spricht sich die SKOS für die Förderung der Bildung, ein gezieltes Coaching und eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen RAV und Sozialhilfe aus. Die Arbeitslosenversicherung kann versicherten Personen, die beim RAV gemeldet sind, Ausbildungszuschüsse gewähren (Art. 66a AVIG). Eine schweizweite Bestandserhebung zeigt jedoch, dass Ausbildungszuschüsse nur selten angewendet werden. Eine Studie zu direkten und indirekten Bildungskosten zeigte 2022 am Beispiel der Ausbildungszuschüsse Unterschiede zwischen den Kantonen auf. Einige Kantone prüfen die Anträge auf Ausbildungszuschüsse für ALV-Beziehende wohlwollend und treiben die Förderung von Ausbildungszuschüssen gezielt voran (AG, AR, BE, NW, OW, SG, TI). In manchen Kantonen (AI, BE, GL, NE, SG, TG) werden bereits Personen ab dem Alter von 25 Jahren für Ausbildungszuschüsse berücksichtigt. Weiter haben einzelne Kantone Informationskampagnen zur Bekanntmachung von Ausbildungszuschüssen (AR, TI).

Auch Massnahmen zur Umschulung und Weiterbildung werden nur selten von den RAV genutzt. Im Februar 2023 befanden sich 47 Prozent der registrierten nicht arbeitslosen Stellensuchenden in einem Zwischenverdienst; lediglich 1 Prozent dieser Gruppe absolvierte eine Umschulung oder Weiterbildung. Dieser Wert lag in den vergangenen zwölf Monaten konstant bei 1 Prozent. Personen, die mit ihrem bestehenden Profil Mühe haben, eine Stelle zu finden, erhalten also nur selten Unterstützung durch Umschulung und Weiterbildung.

Unabhängig von der Frage, ob Taggelder bezogen werden oder nicht, ist ein gezieltes Coaching der Stellensuchenden wichtig – insbesondere dann, wenn besondere Integrationshemmnisse und kumulierte Risikofaktoren vorliegen wie ungenügende oder fehlende berufliche Qualifikation, gesundheitliche Probleme und ungenügende Sprachkenntnisse. Für die Beratung dieser Fälle müsste bei den RAV mehr Geld und Zeit zur Verfügung gestellt werden. Entscheidend ist zudem, dass die intensivierte Beratung frühzeitig angeboten wird, zum Beispiel drei Monate nach erfolgloser Stellensuche. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass die RAV bei erfolgreicher Vermittlung eine Nachbetreuung anbieten könnten. Dafür bräuchte es vermehrt Job-Coaches in den RAV.

Massnahmen

Dringlich sind Strategien, um Niedrigqualifizierte vermehrt für Bildungsmassnahmen anzusprechen. Eine Beratung zur Einschätzung der Arbeitsmarktfähigkeit genügt in der Regel nicht. Es ist bekannt, dass indirekte Bildungskosten – in erster Linie Einkommenseinbussen – das Haupthindernis für die berufliche Grundbildung von Erwachsenen sind.

Das Beispiel der Stadt Zürich mit den Arbeitsmarktstipendien zeigt auf städtischer Ebene, wie die Förderung der Bildung von niedrig bis durchschnittlich qualifizierten Personen angegangen werden kann. In Zürich wurden im Jahr 2021 sogenannte Arbeitsmarktstipendien eingeführt. Zielgruppe sind Niedrigqualifizierte und Personen mit mittlerem Qualifikationsgrad bis zum ordentlichen AHV-Alter, die durch die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt am stärksten gefährdet sind, ihre Anstellung zu verlieren. Mit den Arbeitsmarktstipendien sollen diese Personen einen Anreiz erhalten, eine Weiterbildung zu absolvieren und somit ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten oder zu fördern. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Ausbildungsstipendien stehen Arbeitsmarktstipendien auch Personen über dem Existenzminimum unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Verfügung, damit diese nicht aus finanziellen Überlegungen auf Weiterbildung verzichten.

Für eine umfassendere Förderung der Bildung in der ALV müsste der gesetzliche Rahmen angepasst werden. Der Auftrag der ALV sollte ausgeweitet werden, um den Auftrag der Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit zu erfüllen. Strukturelle Arbeitslosigkeit entsteht, wenn infolge struktureller Entwicklungen wie der Digitalisierung bestimmte Berufe nicht mehr gefragt sind bzw. ins Ausland verlagert werden. Betroffene können nur via Aus- und Weiterbildung oder Umschulung in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Das Ziel der raschen Reintegration müsste hierfür durch das Ziel der nachhaltigen Reintegration in den Arbeitsmarkt ersetzt werden. Die Förderung der Bildung von Stellensuchenden würde in der ALV in der Folge einen grösseren Stellenwert erhalten. Die ALV würde sich somit hin zu einer investierenden Sozialversicherung weiterentwickeln.

Grundkenntnisse in einer Landessprache

Das bedeutet aber nicht, dass die ALV die alleinige Verantwortung für Bildung übernehmen muss. Vorgelagert bleibt grundsätzlich das Bildungssystem. Aber auch andere Bereiche sind in der Pflicht. Im Flüchtlingsbereich wurde mit der Einführung der Integrationsagenda 2019 Bildung stärker gewichtet. Als verbindliches Ziel wurde definiert, dass alle anerkannten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen drei Jahre nach Einreise über Grundkenntnisse in einer Landessprache verfügen (GER-Niveau A1). Die Hälfte der erwachsenen Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen soll nach sieben Jahren im Arbeitsmarkt integriert sein. Von den anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen zwischen 16 und 25 Jahren sollen zwei Drittel nach fünf Jahren eine berufliche Grundbildung absolvieren. Aus Sicht der SKOS wäre es sinnvoll, die Berufsbildung auch von Personen über 25 Jahren stärker zu fördern. Für das Absolvieren einer Berufslehre braucht es ein Sprachniveau von mindestens B1. Es müsste folglich noch mehr in die Sprachkenntnisse investiert werden. Auch für niederschwellige berufliche Qualifikationen bräuchten Stellensuchende mindestens das Sprachniveau A2.

RAV und Sozialhilfe

Auch in der Sozialhilfe ist die Bildung Sozialhilfebeziehender stärker zu fördern. 2018 hat die SKOS mit der Lancierung der Weiterbildungsoffensive einen Paradigmenwechsel in der Sozialhilfe angestossen (SKOS, 2018). Gegenüber ihren Mitgliedern setzt sich die SKOS dafür ein, dass Sozialhilfebeziehende nicht wie bisher möglichst schnell abgelöst werden, sondern dass die nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt im Vordergrund steht. Sozialhilfebeziehende mit ungenügenden Grundkompetenzen und/oder ohne Berufsabschluss sollen die Möglichkeit erhalten, sich weiterzubilden. Von Bildungsmassnahmen profitieren aber auch Personen, bei denen zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen eine Erwerbstätigkeit nicht möglich ist. Hier kann Weiterbildung dazu beitragen, die selbstständige Alltagsführung und die Gesundheit zu fördern.

Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den RAV und der Sozialhilfe wäre insgesamt erstrebenswert. Hierzu gibt es bereits einen durch eine breit abgestützte Arbeitsgruppe erarbeiteten Leitfaden (WBF, 2017). Es existieren zudem Pilotprojekte wie Jobtimal SE (vgl. Seite 19) oder auch etablierte Projekte, in denen die RAV und die Sozialhilfe eng zusammenarbeiten. Diese Projekte könnten auch in anderen Regionen umgesetzt werden.

Projekte zum Nachahmen

Schon heute gibt es eine Reihe von erfolgreichen Projekten und Programmen in einigen Kantonen. Im Kanton Waadt gibt es sechs sogenannte Unités communes, in der Personalberatende des regionalen Arbeitsvermittlungszentrums und Sozialarbeitende des regionalen Sozialzentrums gemeinsam arbeitslose Sozialhilfebeziehende beraten. Aufgrund definierter Kriterien wird durch das regionale Sozialzentrum entschieden, wer Zugang zu diesem Angebot hat. Die anschliessende Begleitung erfolgt koordiniert und intensiv. Während die Personalberatenden des RAV sich in der Beratung primär auf das Erarbeiten einer beruflichen Wiedereingliederungsstrategie und die Unterstützung im Bewerbungsprozess konzentrieren, begleiten die Sozialarbeitenden in den Themen Finanzen, Familie, Gesundheit, Wohnen und soziale Integration. Die Synergien der Kompetenzen und beruflichen Instrumente dieser beiden Berufsgruppen sollen einerseits zu einer schnelleren und nachhaltigeren Rückkehr in den Arbeitsmarkt beitragen und andererseits die Kosten für die Betreuung senken. Die Sozialhilfebeziehenden haben gleichzeitig Zugang zu den Vermittlungsleistungen des RAV sowie zu den sozialen Integrationsangeboten der Sozialhilfe.

Coaching für Ausgesteuerte

In der Stadt Zürich lancierten die Sozialen Dienste (SOD) und das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (AWA) im Jahr 2013 das zweijährige Pilotprojekt «Coaching für Ausgesteuerte». Es hatte zum Ziel, die Schnittstelle zwischen Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe zu optimieren. Aufgrund der positiven Erfahrungen im Rahmen des Pilotprojekts wurde das Projekt im Jahr 2015 unter dem Namen «Sozialberatung im RAV» flächendeckend und in leicht angepasster Form in allen sechs städtischen RAV eingeführt. Das Beratungsangebot steht seither allen Stellensuchenden offen, die einen Bedarf an persönlicher Hilfe haben und keine Sozialhilfe beziehen – unabhängig von ihrem Versicherungsanspruch. Das Angebot der «Sozialberatung im RAV» wird von den Personalberatenden wie auch von den Stellensuchenden wegen seiner Niederschwelligkeit und differenzierten Unterstützung als sehr wertvoll erlebt. Die Sozialarbeitenden empfinden das Job-Enrichment als spannende Bereicherung. Durch ihre Präsenz vor Ort lernen sie den RAV-Betrieb kennen und übernehmen zwischen den beiden Institutionen eine wichtige Botschafterrolle.

Integrationspool+

Der Kanton Freiburg verfügt mit dem Integrationspool+ (IP+) über eine innovative Massnahme zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Der IP+ richtet sich an stellensuchende Personen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigungen haben oder ausgesteuert sind, Leistungen der Sozialhilfe beziehen oder während der letzten zwölf Monate bezogen haben sowie motiviert sind, eine neue Stelle zu finden. Der IP+ bietet Betreuung durch ein Zweierteam, das aus einer Personalberaterin bzw. einem Personalberater und einer Sozialarbeiterin bzw. einem Sozialarbeiter besteht. Eingeschlossen ist ein intensives Coaching während maximal neun Monaten (individuelle Beratung) sowie eine koordinierte Gewährung von Massnahmen zur sozialen Integration (SEM) und beruflichen Eingliederung (Vertrag nach BAMG – Gesetz über die Beschäftigung und den Arbeitsmarkt). Die Bilanz nach den ersten fünf Jahren ist positiv: Für über 45 Prozent der betreuten Personen konnte eine Eingliederungslösung gefunden werden.

Forjad für junge Sozialhilfebeziehende

2006 hat die waadtländische Regierung «Forjad» (formation professionnelle pour jeunes adultes en difficulté) als Pilotprojekt lanciert, um junge Sozialhilfebeziehende zwischen 18 und 25 Jahren ohne Berufsabschluss systematisch in Richtung Berufsbildung und Stipendienwesen zu orientieren. Dank der guten Ergebnisse wurde das Projekt im Jahr 2009 definitiv eingeführt. Der Kanton Waadt hat das Programm im Jahr 2012 mit «Formad» ausgebaut und auf die Zielgruppe der Erwachsenen ab 25 Jahren erweitert. Im Gegensatz zu «Forjad» stehen nicht nur klassische Berufsausbildungen im Fokus, sondern auch kürzere praktische Ausbildungen mit Zertifikat und die Validierung von Bildungsleistungen.