Praxisbeispiel

Wie sind Integritätsentschädigungen zu berücksichtigen?

03.03.2025
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Auf Integritätsentschädigungen werden in der Sozialhilfe erhöhte Freibeträge, in Abhängigkeit von der Zusammensetzung der Unterstützungseinheit, gewährt. Es wird empfohlen, das Geld auf ein separates Konto zu überweisen und die Verwendung sorgfältig zu dokumentieren. Auch Erlöse aus mit der Entschädigung finanzierten Anschaffungen bleiben unberührt, sofern der Zusammenhang nachgewiesen wird.

Marc Bircher ist 33 Jahre alt und wohnt mit seiner sechsjährigen Tochter Lin zusammen. Die beiden werden seit einem Jahr von der Sozialhilfe wirtschaftlich unterstützt. Weil Marc Bircher vor drei Jahren infolge eines Unfalls einen Fuss verloren hat, wurde ihm vor ein paar Monaten eine Integritätsentschädigung im Umfang von 44 460 Franken ausbezahlt. Einen Teil davon wendete er für Schuldenrückzahlungen auf; die übrigen ca. 35 000 Franken investierte er in ein Auto. Vor ein paar Tagen verkaufte er das Auto, um zusätzlich zum Sozialhilfebezug über mehr finanzielle Mittel zu verfügen. Aus dem Verkauf erzielte er einen Erlös von 28 000 Franken.

↗Fragen

Wie sind die Einnahmen aus der Integritätsentschädigung und dem späteren Autoverkauf zu behandeln?

↗Grundlagen

Bei der Integritätsentschädigung handelt es sich um eine Kapitalleistung der Unfallversicherung. Auf sie besteht Anspruch, wenn versicherte Personen durch Unfall oder Berufskrankheit (Art. 9 UVG) eine dauernde erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität erleiden (Art. 24 f. UVG). Ihr Zweck liegt im Ausgleich des durch die Person erlittenen immateriellen Schadens, der beispielsweise in verminderter Lebensfreude oder körperlichen Schmerzen bestehen kann (BGE 115 V 147 E. 3a; BGE 133 V 224 E. 5.1).

Aufgrund ihrer Zweckbestimmung erfährt die Integritätsentschädigung – wie im Übrigen auch die Genugtuung – in der Sozialhilfe eine besondere Behandlung. Gemäss SKOS-Richtlinie D.3.1. Abs. 5 werden auf Leistungen aus Genugtuung und Integritätsentschädigung erhöhte Freibeträge gewährt. Diese gelten sowohl bei der Prüfung des verfügbaren Vermögens bei Unterstützungsbeginn als auch bei Zufluss während einer laufenden Unterstützung (SKOS-RL D.3.1. Erläuterung b). Die erhöhten Freibeträge gelten ebenso für Anschaffungen, die mit einer Integritätsentschädigung getätigt worden sind, und für einen späteren Verkaufserlös, sofern ihr Zusammenhang nachgewiesen wird. Ein allfälliger Vermögensertrag ist hingegen als Einnahme einzurechnen (vgl. VGer ZH VB.2018.00034 E. 4.2.5 betr. Darlehenszins).

Ungeachtet ihrer privilegierten Behandlung unterliegen Einnahmen aus Integritätsentschädigung der Auskunfts- und Meldepflicht und sind unverzüglich und unaufgefordert zu deklarieren (vgl. SKOS-RL A.4.1. Abs. 6). Aufgrund seiner Untersuchungspflicht muss der Sozialdienst Hinweise, dass es sich bei Vermögenswerten um solche aus Integritätsentschädigung handelt, ernst nehmen und den Sachverhalt abklären. Der unterstützten Person kommt dabei eine Mitwirkungspflicht zu (vgl. SKOS-RL A.4.1. Abs. 4). Die Person muss den massgebenden Sachverhalt darstellen und erforderliche Dokumente einreichen (BGer 8C_50/2015 vom 17. Juni 2015 E. 3.2.1). Die Beweislast in der Frage, ob Vermögen aus Integritätsentschädigung stammt, verteilt sich letztlich anhand der allgemeinen Regel analog Art. 8 ZGB: Für das Vorhandensein einer Tatsache hat diejenige Person den Beweis zu erbringen, die daraus Rechte ableitet (für die Sozialhilfe BGer 2P.16/2006 vom 1. Juni 2006 E. 4.1).

↗Antworten

Marc Bircher und seiner Tochter ist von der Integritätsentschädigung ein Freibetrag von total 45 000 Franken zu belassen (SKOS-RL D.3.1. Abs. 5 lit. a i. V. m. lit. c). Folglich ist die von der Unfallversicherung ausgezahlte Summe von 44 460 Franken nicht als Einnahme anzurechnen.

Marc Bircher muss die Einnahme zwar deklarieren, kann jedoch frei über das Vermögen verfügen. Seitens des Sozialdienstes ist ihm allerdings zu empfehlen, das Geld auf ein separates Konto überweisen zu lassen und dessen Verwendung von Anfang an sorgfältig zu dokumentieren. Dies soll ihm erleichtern, die Zusammensetzung seines Vermögens bei Bedarf auch künftig belegen zu können.

Dass die Mittel für Marc Birchers Auto aus der Integritätsentschädigung stammten, kann er nach dem Verkauf idealerweise anhand von Kontoauszügen, Quittungen usw. glaubhaft machen. Der Erlös aus dem Autoverkauf ist als Vermögensersatz ebenfalls nicht anzurechnen. Hätte er beim Autoverkauf allerdings aufgrund einer Wertsteigerung einen Gewinn erzielt, gälte dieser als anrechenbare Einnahme. Es steht Marc Bircher nun frei, das Geld wie beabsichtigt für die Deckung laufender Bedürfnisse zusätzlich zum weiteren Sozialhilfebezug einzusetzen.

Anja Lehmann
Wissenschaftliche Mitarbeiterin SKOS

Praxis

In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen beantwortet und publiziert, die der SKOS im Rahmen ihrer Beratungsangebote gestellt werden.

Weitere Informationen unter skos.ch → Beratung für Institutionen.