Wie attraktiv ist die Sozialhilfe als Arbeitsfeld?
Im Sozialwesen intensiviert sich der Wettbewerb um talentierte Fachkräfte. Eine neue Studie hat deshalb untersucht, wie attraktiv die Sozialhilfe im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern ist und welche Studienabgängerinnen und -abgänger sich für die Tätigkeit in einem Sozialdienst interessieren.
In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Fachkräften der Sozialen Arbeit stetig gestiegen und die Personalrekrutierung zu einer der zentralen Herausforderungen für Organisationen des Sozialbereichs avanciert. Auch Sozialdienste sind gefordert, sich auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu positionieren. Als gewichtige Arbeitgeber sind sie besonders auf einen motivierten Nachwuchs angewiesen, der mit den Anforderungen im Umgang mit hohen Fallzahlen, Mehrfachproblematiken bei Klienten, dem Dilemma von Hilfe und Kontrolle sowie mit den komplexen Rahmenbedingungen kompetent umgehen kann. Eine hohe Arbeitgeberattraktivität sichert ihnen einen entscheidenden Vorteil bei der Besetzung vakanter Stellen. Aber wie gut sind Sozialdienste als Arbeitgeber tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt positioniert? Sind sie in der Lage, jungen Sozialarbeitenden das zu bieten, was sie sich unter einem attraktiven Arbeitsplatz vorstellen?
Welche Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit besonders beliebt sind und dadurch einen strategischen Vorteil bei der Personalbeschaffung haben, wurde bisher nicht untersucht. Die Berner Fachhochschule ist daher den Fragen nachgegangen, wie attraktiv die Sozialhilfe im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern ist und welche Merkmale Studienabgängerinnen und -abgänger aufweisen, die sich für eine Stelle in der Sozialhilfe interessieren bzw. das Arbeitsfeld eher meiden werden.
Arbeitsfeldattraktivität im Vergleich
Zur Ermittlung der Attraktivität verschiedener Arbeitsfelder gaben 266 Studienabgänger auf einer Skala von 1 («sehr unwahrscheinlich») bis 5 («sehr wahrscheinlich») die Wahrscheinlichkeit an, mit der sie sich für eine Stelle in diesen Arbeitsfeldern bewerben würden. Als Ergebnis zeigte sich, dass die Familienberatung und der Kinder- und Erwachsenenschutz als die attraktivsten Arbeitsfelder angesehen werden. Weit oben auf der Attraktivitätsskala befinden sich auch die Behindertenhilfe, die Opferhilfe sowie die Migrationsarbeit. Das Gegenteil trifft auf die offene Kinder- und Jugendarbeit sowie die kirchliche Sozialarbeit zu, die beide bezüglich Attraktivität hinter den anderen Arbeitsfeldern zurückblieben.
Die Sozialhilfe rangiert – zusammen mit der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen – an sechster Stelle. Damit gehört sie zwar knapp nicht mehr zum attraktivsten Drittel der Arbeitsfelder, liegt aber immer noch über dem Mittelwert aller Arbeitsfelder (2,8). Allerdings zeigt sich anhand der Standardabweichung, dass bei keinem anderen Arbeitsfeld die Meinungen zur Attraktivität so stark auseinandergehen wie bei der Sozialhilfe.
Für wen die Sozialhilfe attraktiv ist
Mehr als ein Drittel aller Studierenden (34%) absolvieren während des Studiums ein Praktikum in der Sozialhilfe. Wer über diese Erfahrung im Rahmen eines Praktikums verfügt, zieht eine Bewerbung eher in Betracht als Studierende ohne Praktikumserfahrung in der Sozialhilfe. Für rund zwei Drittel (67%) der Studienabsolventinnen und -absolventen ist es (sehr) wahrscheinlich, dass sie sich nach einem Praktikum in der Sozialhilfe auch für eine reguläre Anstellung in diesem Bereich bewerben werden. Das ist ein wesentlich höherer Anteil als in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, wo fast ebenso viele Praktika absolviert werden, Bewerbungsabsichten aber deutlich geringer ausgeprägt sind. Dies weist darauf hin, dass Studierende während eines Praktikums in der Sozialhilfe mehrheitlich positive Erfahrungen machen.
Attraktivität der Arbeitsfelder in der Sozialen Arbeit (Mittelwert)
Die professionellen Identitäten der Studierenden haben ebenfalls einen Einfluss darauf, für wie attraktiv sie eine Tätigkeit in der Sozialhilfe halten. So lässt sich beobachten, dass eine Person, je mehr sie sich als «Agentin oder Agent der sozialen Kontrolle» sieht, sich desto eher für eine Stelle in diesem Bereich bewirbt. Mit anderen Worten: Sozialarbeitende müssen sich für eine Tätigkeit in der Sozialhilfe mit einer Sozialen Arbeit identifizieren können, die sich für einen effizienten und sparsamen Einsatz von finanziellen Mitteln einsetzt, den Missbrauch des Sozialsystems bekämpft und Hilfeleistungen an vorgegebene Richtlinien und Kriterien knüpft. Bei den Nachwuchsfachkräften sind solche Aspekte der sozialen Kontrolle aber von geringer Bedeutung für das professionelle Selbstkonzept, was den Pool an potenziellen Stellenbewerbenden reduziert. Attraktiv ist die Sozialhilfe auch für Personen, die viel Wert auf flexible Arbeitszeitmodelle und eine gute Work-Life-Balance legen.
Wer die Sozialhilfe eher meidet
Weniger attraktiv ist die Sozialhilfe für Absolventinnen und Absolventen, bei denen das Ziel der Integration ein zentraler Bestandteil ihres professionellen Selbstkonzepts darstellt. Dieser negative Zusammenhang ist besonders bei Studierenden zu beobachten, die bereits ein Praktikum in der Sozialhilfe absolviert haben. Dieses überraschende Ergebnis dürfte ein Hinweis darauf sein, dass sie die Sozialdienste während der Praxisausbildung zu sehr als armutsverwaltende Institutionen wahrnehmen.
Auch wirkt die Sozialhilfe eher unattraktiv für stark intrinsisch motivierte Personen, die primär nach einer interessanten, herausfordernden und selbstbestimmten Arbeit streben. Dieser Zusammenhang zeigt sich wiederum bei Studienabsolvierenden, die das Arbeitsfeld im Rahmen eines Praktikums bereits kennengelernt haben. Der Inhalt der Tätigkeit vermag sie anscheinend nicht ganz zu überzeugen.
Optimierungspotenzial
Trotz relativer Attraktivität des Arbeitsfelds besteht somit Optimierungspotenzial. Insbesondere könnten die in den Beruf Einsteigenden besser von einer Tätigkeit in der Sozialhilfe überzeugt werden, die mehrheitlich intrinsisch motiviert sind und sich primär mit Rollenkonzeptionen Sozialer Arbeit identifizieren, welche die persönliche Beratung und die Hilfe zur Integration in den Mittelpunkt stellen. Dieser Typus von Mitarbeitenden dürfte voraussichtlich zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen noch dringender gebraucht werden.
Die Studie
Bei den Ergebnissen handelt es sich um eine Teilauswertung der Verlaufsstudie der Berner Fachhochschule, in der Bachelor-Studierende und Berufseinsteigende zu verschiedenen Zeitpunkten befragt werden. Für den vorliegenden Artikel wurden Befragungsdaten von 266 Studierenden verwendet, die zwischen Herbstsemester 2017 und Herbstsemester 2021 die Abschlussprüfung bestanden haben und kurz vor der Diplomierung standen.