Verweigern der Nothilfe wegen Nichtteilnahme an Arbeitsprogramm?

02.09.2024
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Es kann vorkommen, dass die Teilnahme an einem nicht entschädigten Beschäftigungsprogramm im Rahmen der sozialhilferechtlichen Pflicht angeordnet wird. Wird diese verletzt, kann dies zu einer Kürzung der Sozialhilfeleistungen, jedoch nicht der Nothilfeleistungen führen.

Manuel Wirt wird eine auf Nothilfe gekürzte Sozialhilfeleistung im Umfang von 15 Franken pro Tag zur Finanzierung seiner Grundbedürfnisse zugesprochen. Die Ausrichtung der Leistungen wird jedoch davon abhängig gemacht, dass er ein Arbeits- und Integrationsprogramm der Gemeinde im sogenannten Eigenleistungsmodell (ohne Lohn) zu einem Pensum von 50 Prozent lückenlos besucht. Manuel Wirt nimmt nicht am Beschäftigungsprogramm teil, woraufhin ihm keine Nothilfeleistungen mehr ausbezahlt werden.

→ Fragen

Darf die Sozialbehörde die Nothilfe von Manuel Wirt an die Teilnahme an ihrem Arbeits- und Integrationsprogramm binden?

→ Grundlagen

Gestützt auf Art. 12 BV hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind (Grundrecht auf Hilfe in Notlagen). Es handelt sich um eine sogenannte Kerngehaltsgarantie, die nicht eingeschränkt werden darf. Besteht eine Notlage nach Art. 12 BV, ist eine Kürzung, Einstellung oder Verweigerung der Hilfeleistungen damit nicht zulässig (SKOS-RL A.5, Erläuterungen lit. a).

Voraussetzung für einen Anspruch nach Art. 12 BV ist ausschliesslich, dass eine Notlage besteht. Damit einher geht, dass zur Verfügung stehende Mittel, soweit dies tatsächlich möglich und zumutbar ist, geltend gemacht und für den Lebensbedarf genutzt werden müssen (Subsidiaritätsprinzip).

In diesem Sinne hat das Bundesgericht entschieden, dass bei einer Person, die eine konkret zur Verfügung stehende entlohnte Erwerbsmöglichkeit ausschlägt, im Umfang des entgangenen Einkommens keine Notlage nach Art. 12 BV vorliegt. Dies gilt nur so lange, als die entlohnte, konkret zumutbare Arbeitsstelle auch effektiv zur Verfügung steht und jederzeit angetreten werden kann. Dasselbe gilt gemäss der Rechtsprechung auch bei entlohnten Beschäftigungsprogrammen. Wird eine Weisung zur Teilnahme an einem bedarfsdeckend entlohnten Programm nicht befolgt, kann die Ausrichtung der Nothilfeleistungen verweigert werden, ohne dass dies eine Verletzung von Art. 12 BV zur Folge hätte (BGE 142 I 1).

Das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen gilt ursachenunabhängig (Finalprinzip). Nothilfeleistungen dürfen auch dann nicht gekürzt oder eingestellt werden, wenn eine Notlage selbstverschuldet wurde. Damit das Subsidiaritätsprinzip zum Tragen kommen kann, muss damit immer ein unmittelbarer Zusammenhang mit der tatsächlichen Beendigung der Notlage gegeben sein. Die betroffene Person muss – objektiv betrachtet – konkret und aktuell in der Lage sein, die Notlage zu beenden (BGer 8C_717/2022 vom 7. Juni 2023).

Wird die zugewiesene Arbeit in einem Beschäftigungsprogramm nicht entlohnt, kommt auch das Subsidiaritätsprinzip nicht zum Tragen. Die Hilfsbedürftigkeit der betroffenen Person bleibt bestehen, ungeachtet dessen, ob sie am Programm teilnimmt oder die Teilnahme verweigert. Damit bleibt auch der Anspruch auf Nothilfe bestehen (BGE 142 I 1). Die Teilnahme an einem nicht entlohnten Beschäftigungsprogramm ist damit als sozialhilferechtliche Pflicht einzuordnen, deren Verletzung insbesondere zu einer Kürzung der Sozialhilfeleistungen – nicht aber der Nothilfeleistungen – führen kann.

Das bundesgerichtliche Subsidiaritätsverständnis wird in Teilen der Lehre mit Blick auf die Ursachenunabhängigkeit der Nothilfe, aber auch darüber hinaus aus grund- und menschenrechtlicher Sicht als zu weitgehend kritisiert. Auch die Teilnahme an einem entlohnten Beschäftigungsprogramm sei nicht als Anspruchsvoraussetzung, sondern als sozialhilferechtliche Pflicht einzuordnen. Dies muss gemäss Zürcher Verwaltungsgericht schon deshalb gelten, weil für die Teilnahme an einem solchen Programm durch die Sozialhilfe Bedürftigkeit vorausgesetzt wird (VB.2019.00570, E.5.1.5).

In jedem Fall zu beachten ist, dass die Weisung zur Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm für die Arbeitsintegration der betroffenen Person zielführend und im konkreten Fall verhältnismässig und zumutbar sein muss (SKOS-RL F.1 Abs.2).

→ Antwort

Die Nothilfeleistungen von Manuel Wirt wurden zu Unrecht von der Teilnahme am Arbeits- und Integrationsprogramm der Gemeinde abhängig gemacht. Da das Programm nicht entlohnt worden wäre, hätte auch die Teilnahme seine Notlage nicht unmittelbar behoben. Das Subsidiaritätsprinzip kommt nicht zum Tragen. Die Verweigerung der Nothilfe verstösst gegen Art. 12 BV. Es können keine finanziellen Sanktionen veranlasst werden. Wenn möglich sind mit der betroffenen Person Lösungen zur Teilnahme an einem Programm zu entwickeln.

Salome Goepfert
Kommission Rechtsfragen

Praxis

In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen beantwortet und publiziert, die der SKOS im Rahmen ihrer Beratungsangebote gestellt werden.

Weitere Informationen unter skos.ch → Beratung für Institutionen.