Die Studie «HarmSoz» zeigt, dass einige Sozialdienste sich in ihrem Handeln konsequent an den SKOS-Richtlinien orientieren, einzelne Dienste weichen jedoch ab.
Forschung

Umgang mit überhöhten Mieten in der Sozialhilfe

03.12.2023
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Die Studie «HarmSoz» der Fachhochschule Nordwestschweiz untersuchte, wie Sozialdienste aus den Kantonen Aargau, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und Zürich mit überhöhten Mieten umgehen. Hierzu wurde den Fachkräften der befragten Sozialdienste eine Fallbeschreibung vorgelegt. In der Bearbeitung der Fallbeschreibung offenbarten sich wesentliche Unterschiede im Umgang mit überhöhten Mieten.

Wohnen ist ein viel diskutiertes und hochaktuelles Thema in der Sozialhilfe. Eine angemessene Wohnung ist ein wesentlicher Faktor für Aspekte wie Gesundheit, soziale Integration und Wohlbefinden der Sozialhilfebeziehenden. Auf Seite der Sozialdienste und Sozialbehörden ist die Mietzinslimite, das heisst die maximalen Mietkosten, die von der Sozialhilfe übernommen werden, zentral, da die Wohnkosten einen substanziellen Anteil der Sozialhilfeleistungen ausmachen und der politische Spielraum der Festlegung vergleichsweise gross ist. Ferner sind die Mietzinslimiten eine Möglichkeit der Steuerung der Zu- oder Abwanderung von Sozialhilfebeziehenden. Das SKOS-Monitoring aus dem Jahr 2021 zeigte, dass in den befragten Gemeinden die Zahl der Sozialhilfebeziehenden, die eine Miete über der Limite aufweisen, zwischen 2 und 50 Prozent variiert. Obwohl unklar ist, in wie vielen Fällen die überhöhten Mietkosten teilweise oder vollständig durch die Sozialhilfe übernommen werden, deuten diese Zahlen darauf hin, dass die Mietzinslimite in einigen Gemeinden nicht adäquat festgelegt oder seit Langem nicht mehr angepasst wurde. Angesichts des allgemeinen Anstiegs der Wohnnebenkosten sowie steigender Nettomieten ist davon auszugehen, dass aktuell noch mehr Sozialhilfebeziehende von überhöhten Mieten betroffen sind als vom SKOS-Monitoring ausgewiesen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Sozialdienste mit den überhöhten Mieten der Sozialhilfebeziehenden umgehen.

Diese Thematik wurde in einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt untersucht. Im Projekt «HarmSoz» wurde den Fachpersonen aus 31 Sozialdiensten der Kantone Aargau, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und Zürich eine qualitative Vignette, das heisst eine etwa halbseitige Fallbeschreibung, vorgelegt. Da die Prüfung des Einzelfalls in der Sozialhilfe zentral ist, hat die Verwendung einer konkreten Fallbeschreibung den Vorteil, dass die Nutzung von Ermessensspielräumen durch die Sozialdienste untersucht werden kann. Die befragten Fachpersonen aus den Sozialdiensten wurden im Rahmen persönlicher Interviews gebeten, ein Sozialhilfebudget zu berechnen und die persönliche Hilfe zu planen. Die Interviews fanden zwischen Juni 2022 und März 2023 statt. Beim fiktiven Fall «Lukas Riesen» handelt es sich um einen 58-jährigen Mann, der seit Geburt in der Gemeinde wohnhaft ist, in der er nun einen Antrag auf Sozialhilfe stellt. Riesen hat vor vier Jahren seine Arbeitsstelle als Aussendienstmitarbeiter einer Versicherung verloren. Er ist in der Zwischenzeit ausgesteuert, und eine Anmeldung bei der Invalidenversicherung läuft. Der Hausarzt hat eine mittelschwere Depression diagnostiziert. Riesen verfügt über ein Freizügigkeitsguthaben von 300 000 Franken und lebt in einer Wohnung, deren Miete 400 Franken über der Mietzinslimite liegt.

Insgesamt sind die Sozialdienste grossmehrheitlich der Meinung, dass die überhöhte Miete zunächst vollständig übernommen werden muss, da Riesen vorher nicht von der Sozialhilfe unterstützt wurde. Klar ist für die Sozialdienste ausserdem, dass Riesen die 400 Franken nicht längerfristig aus dem Grundbedarf zahlen kann. Die Vorgehensweisen der Sozialdienste bezüglich der überhöhten Miete lassen sich vier Typen zuordnen, die nachfolgend beschrieben werden.

Mittelfristige Übernahme der überhöhten Miete

Einige Sozialdienste übernehmen Riesens überhöhte Miete mittelfristig. Die Sozialdienste begründen dies in der Regel mit dem hängigen IV-Verfahren. Da Riesen bei Erhalt einer Invalidenrente und von Ergänzungsleistungen, bei denen die Grenzen für die Wohnungsmieten höher liegen, die Wohnung behalten könnte, erachten die entsprechenden Sozialdienste einen Umzug zum aktuellen Zeitpunkt als unverhältnismässig. Einzelne Sozialdienste übernehmen die überhöhte Miete nur, wenn schon ein positiver Vorbescheid der IV vorliegt, oder bei guten Aussichten auf einen raschen und positiven Rentenentscheid. Da die IV-Verfahren oft sehr lange dauern, sei sonst nicht absehbar, wie lange Riesen unterstützt werden müsse. In anderen Gemeinden kann Riesen unabhängig von seinem IV-Rentenantrag in der Wohnung bleiben, solange er dem Sozialdienst ein ärztliches Zeugnis vorlegt, das einen Umzug aus gesundheitlichen Gründen ausschliesst. Dabei wird Riesen explizit auf diese Option aufmerksam gemacht. In einer Gemeinde könnte Riesen in der Wohnung bleiben, wenn er sich bereit erklärt, mit dem BVG-Guthaben, das er in der entsprechenden Gemeinde mit 60 Jahren vorbeziehen muss, den über der Limite liegenden Mietanteil zurückzuerstatten.

Übernahme der überhöhten Miete bis zum nächsten Kündigungstermin

Nicht in allen Sozialdiensten wird Riesens Gesundheitszustand bei der Frage des Umgangs mit der überhöhten Miete berücksichtigt. In den Sozialdiensten des zweiten Typus wird die überhöhte Miete vorderhand ins monatliche Budget aufgenommen, die Wohnung muss allerdings auf den nächstmöglichen Termin gekündigt werden. Das bedeutet, eine erfolgslose Wohnungssuche kann den Wohnungswechsel in diesen Gemeinden nicht hinausschieben. Einige Sozialdienste handeln so im Wissen darum, dass lokal günstiger Wohnraum vorhanden ist oder dass sie die Sozialhilfebeziehenden zur Langzeitmiete in Hotels oder in Notfallunterkünften unterbringen können. Im Kanton Aargau, in dem dieses Vorgehen ebenfalls vorkommt, hält das Verwaltungsgericht hierzu fest: «Von den hilfesuchenden Personen, welche mit überhöhten Mietkosten belastet sind, kann nicht verlangt werden, dass sie ihre Wohnung ‹ins Blaue› kündigen» (WBE.2022.218). Die Sozialdienste müssten die Klientinnen und Klienten mittels Auflagen und Weisungen verpflichten, sich um eine neue Wohnung zu bemühen, damit eine angemessene Ersatzwohnung gefunden werden kann.

Übernahme der überhöhten Miete, solange Wohnungsbemühungen eingereicht werden

Die Sozialdienste des dritten Typus fordern von Riesen Wohnungsbemühungen im Rahmen einer Auflage ein. In diesen Gemeinden wird Riesens Wohnung übernommen, solange er Wohnungsbemühungen nachweist und diese erfolglos bleiben. Die Dienste verlangen in der Regel die Suche nach Wohnungen in der Region, das heisst über die Wohngemeinde hinaus. Ein Sozialdienst verlangt nur Suchbemühungen innerhalb der Gemeinde, da Riesen dort seit Geburt wohnhaft ist.

Zwei Gemeinden verlangen nicht explizit Wohnungsbemühungen in einer Auflage. Wenn in diesen Gemeinden keine Wohnungsbemühungen eingereicht werden, wird die Miete dennoch im Budget an die Limite angepasst. Solange erfolglose Wohnungsbemühungen eingereicht werden, wird die Übernahme der überhöhten Miete verlängert. Die Begründung der beiden Gemeinden für dieses Vorgehen ist unterschiedlich. Die Sozialarbeiterin in der einen Gemeinde sagte, sie wisse, dass dieses Vorgehen falsch sei. Dies sei jedoch eine etablierte Praxis im Sozialdienst, die sie aktuell in Absprache mit der Leitung zu verändern versuche. Der Leiter des zweiten Sozialdienstes führte aus, dass er das zweistufige Verfahren ablehne, weil es den «kompetenten» Klientinnen und Klienten problemlos gelingen würde, erfolglose Wohnungsbemühungen einzureichen und damit in den zu teuren Wohnungen zu verbleiben.

Miete gemäss Mietzinslimite ab dem ersten Tag

Eine Gemeinde bezahlt Riesen ab dem ersten Tag nur die Miete gemäss der von der Sozialbehörde festgelegten Mietzinslimite. Riesen muss hier demnach 400 Franken ab der Aufnahme in die Sozialhilfe selbst vom Grundbedarf bezahlen und fällt dadurch weit unter das soziale Existenzminimum. Eine Variation davon war in einer anderen Gemeinde zu finden. In dieser wird geprüft, ob ein Mietvertrag vorliegt, der für die Person bereits vor dem Bezug der Sozialhilfe für die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu hoch dotiert war. In diesem Fall würde der Sozialdienst nur die Miete gemäss Mietzinsrichtlinie übernehmen.

Handlungsbedarf in den Gemeinden

Steigende Wohnungsmieten und Nebenkosten führen zu einem Handlungsbedarf in den Gemeinden. Angesichts der steigenden Wohnkosten ist es zentral, wie Sozialdienste mit den überhöhten Mieten der Sozialhilfebeziehenden umgehen. Den SKOS-Richtlinien zufolge sind im Zuge der Einzelfallprüfung Aspekte wie die Verwurzelung, die soziale Integration, das Alter oder die Gesundheit zu berücksichtigen (C.4.1). In der Studie zeigte sich, dass einige Sozialdienste sich in ihrem Handeln konsequent an diesen Richtlinien orientieren. Einzelne Dienste weichen jedoch davon ab.

Es ist schwer nachvollziehbar, wie die von der SKOS geforderte Einzelfallprüfung in so kurzer Zeit möglich ist, sodass eine Kündigung auf den nächstmöglichen Kündigungstermin legitimiert werden kann. Ausserdem stellt die Aufforderung zur Kündigung der Wohnung «ins Blaue» Riesen vor eine ungewisse Zukunft. Unabhängig davon bedeutet ein Wohnungswechsel für Lukas Riesen, dass etwaige nachbarschaftliche Kontakte und die soziale Integration ins Quartier verloren gehen und an einem anderen Ort neu aufgebaut werden müssen. Bezüglich der überhöhten Miete handeln einige Dienste nach einem fixen Schema und verweisen darauf, dass die Übernahme unabhängig vom Einzelfall unter keinen Umständen möglich ist. Wenn Riesens um 400 Franken überhöhte Miete nicht übernommen wird, folgt daraus eine Minderung des Grundbedarfs um etwa 40 Prozent, was über die in den SKOS-Richtlinien vorgesehene maximale Kürzung bei Sanktionen hinausgeht.

Projekt Harmsoz

Das Projekt «Vergleich von Sozialhilfeleistungen in der Schweiz» (HarmSoz) wurde von April 2022 bis Oktober 2023 durchgeführt. Finanziell gefördert wurde die Studie von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, der Ernst Göhner Stiftung sowie von AvenirSocial, dem Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz. Zum Thema Vorbezug des Freizügigkeitsvermögens in der Sozialhilfe wurde bereits ein Beitrag in der ZESO publiziert. Der Schlussbericht der Studie ist Anfang November 2023 erschienen und kann unter folgendem Link abgerufen werden: go.fhnw.ch/f2sm5p