Plausible Prognosen für die Entwicklung der Fallzahlen erstellen
Seit mehr als einem Jahr leben wir mit der Corona-Pandemie. Viele Menschen in der Schweiz leiden wirtschaftlich unter deren Folgen, die Fallzahlen in der Sozialhilfe steigen aber noch nicht. Kommt der vorausgesagte Anstieg nächstes Jahr? Prognosen zu erstellen, ist im Moment sehr schwierig. Gemeinden und Kantone brauchen aber Grundlagen für ihre Budgetprozesse. Die SKOS hat ein Merkblatt publiziert, das die Mitglieder dabei unterstützt.
In den letzten Jahren entwickelten sich die Fallzahlen in der Sozialhilfe kontinuierlich. Bis 2017 stiegen sie jährlich um ein bis drei Prozent an, 2018 und 2019 gingen sie wieder leicht zurück. Bei der Budgetierung der Folgejahre konnten sich die Sozialdienste auf diese Erfahrungswerte abstützen. Mit der Corona-Krise ändert sich dies. Die SKOS geht in ihrem Analysepapier von einem Anstieg der Fallzahlen in der Sozialhilfe bis Ende 2022 von 21 Prozent aus. Damit macht sie eine Aussage zum gesamtschweizerischen Durchschnitt. Es ist davon auszugehen, dass die Unterschiede zwischen den Kantonen gross und bei den Gemeinden noch grösser sein werden, so, wie das schon vor der Krise war. 2019 belief sich die Spannbreite bei den Kantonen von einem bis sieben Prozent, bei den Gemeinden von null bis elf Prozent.
Um eine kantonale oder kommunale Voraussage treffen zu können, müssen die lokalen Verhältnisse berücksichtigt werden. Die SKOS hat ein Merkblatt publiziert, in dem sie die fünf Faktoren beschreibt, die ihrer Prognose zugrunde liegen, und aufzeigt, wie die Berechnung auf lokaler Ebene erfolgen kann.
Arbeitslosigkeit
Circa jeder fünfte Neueintritt in der Sozialhilfe ist eine Person, die in den Jahren zuvor ausgesteuert wurde. Wegen der starken Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit von rund 130 Prozent zwischen Januar 2020 und März 2021 ist mit einer zeitlichen Verzögerung von einem Jahr mit deutlich mehr Neueintritten von Ausgesteuerten zu rechnen. In der SKOS-Prognose bewirkt dieser Faktor einen Anstieg von 5,8 Prozent. Das SECO veröffentlicht auf amstat.ch monatlich die nach Kantonen aufgeschlüsselten Zahlen zu Langzeitarbeitslosigkeit und Aussteuerung. Diese bieten eine gute Grundlage für eine kantonale Prognose für die Entwicklung der Fallzahlen in der Sozialhilfe.
Selbständigerwerbende
Selbständigerwerbende sind von der Covid-19-Krise stark betroffen. Prognosen zu einer zukünftigen Sozialhilfeabhängigkeit dieser Gruppe sind jedoch sehr schwierig, weil keine Vergleichsdaten aus früheren Jahren vorliegen. Bisher lag die Anzahl unterstützter, selbständig erwerbender Personen bei rund 2000. Die SKOS rechnet mit einem durch diese Gruppe bedingten Anstieg von 5,2 Prozent.
Weniger Ablösungen
In den Jahren 2017 bis 2019 konnten jeweils rund 15 000 erwachsene Personen von der Sozialhilfe abgelöst werden, weil sich ihre Erwerbssituation verbessert hat. Aufgrund der sich verändernden wirtschaftlichen Situation nimmt diese Zahl während und wohl auch nach der Corona-Krise ab. In der SKOS-Prognose wird von einer Halbierung dieser Ablösungen bis 2022 ausgegangen, damit steigt die Gesamtzahl der Sozialhilfebeziehenden um 4,4 Prozent.
Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene
In der Jahren 2014 bis 2016 haben sehr viele Menschen in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Für all jene, die als Flüchtlinge anerkannt oder vorläufig aufgenommen wurden, wechselt die finanzielle Zuständigkeit bis ins Jahr 2022 vom Bund zu Kantonen und Gemeinden. Der daraus resultierende Anstieg der Fallzahlen kann ziemlich genau vorausgesehen werden. Die SKOS hat Zahlen publiziert, die sich auf Statistiken des SEM und des BFS abstützen. Der erwartete Anstieg beträgt 5,9 Prozent.
Vorgelagerte Leistungen
Der Grund für die aktuell stabilen Fallzahlen liegt bei den vorgelagerten Leistungen. Die Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosentaggelder und Kurzarbeitsentschädigung, der Corona-Erwerbsersatz und zahlreiche kantonale Härtefallprogramme sichern die Existenz von Personen, die wegen der Corona-Krise weniger oder gar nichts mehr verdienen. Im Moment ist ungewiss, wie lange der Anspruch auf diese vorgelagerten Leistungen bestehen bleibt. Die SKOS-Prognose geht davon aus, dass alle corona-spezifischen Massnahmen bis Ende 2021 auslaufen. Falls der Bund oder einzelne Kantone ihre Massnahmen über diesen Zeitpunkt hinaus verlängern, hat dies einen dämpfenden Einfluss auf die Fallzahlen in der Sozialhilfe.
Eine an die kantonalen und kommunalen Verhältnisse angepasste SKOS-Prognose bietet auf dem aktuellen Wissensstand basierend eine solide und faktenbasierte Grundlage für die Budgetierung 2022. Die SKOS hat ein Tool auf Excelbasis entwickelt, das den Kantonen und Gemeinden erlaubt, eine Prognose für ihre Sozialdienste zu berechnen. Im April hat ein Schulungsseminar stattgefunden. Interessierte Sozialdienste können sich auch direkt an die SKOS-Geschäftsstelle wenden, wenn sie Fragen zum Merkblatt und zum Berechnungstool haben.
Unsicherheiten bleiben bestehen
In dieser ausserordentlichen Situation bleiben aber Unsicherheiten bestehen. Insbesondere ist das Ende der Pandemie und der Massnahmen zu deren Eindämmung noch nicht absehbar. Ebenso unklar ist die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten zwei Jahren. Die SKOS wird deshalb ihre Prognosen regelmässig überprüfen und aktualisieren.