Mit Beratung die persönliche Entwicklung nachhaltig stärken
Positive Psychologie ist die Wissenschaft vom gelingenden und erfüllten Leben. Die Disziplin befasst sich mit der Frage, wie das psychische Wohlbefinden und die persönliche Entwicklung eines Menschen nachhaltig unterstützt werden können. Der Ansatz ist einerseits Methode für die Psychotherapie, andererseits ein neues wissenschaftlich-psychologisches Forschungsfeld. Und eignet sich in der Sozialhilfe vor allem auch als Beratungs- und Interventionsansatz sehr gut.
Die Interventionen gemäss dem Ansatz der Positiven Psychologie umfassen nicht nur Aktivitäten, die darauf abzielen, Symptome zu lindern oder zu verringern, sondern zielen in erster Linie darauf ab, positive Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu unterstützen. Sie können auf diese Art dazu beitragen, langfristig das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit zu steigern und depressive Symptome zu reduzieren. Letztlich zielen positive Interventionen darauf ab, die Klientinnen und Klienten in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken. Sie sind darauf ausgerichtet, die Stärken der Menschen zu erkennen und diese gemeinsam mit ihnen zu fördern. Danach zielen sie darauf ab, die Betroffenen in den Dimensionen «positive Gefühle», «Beschäftigung», «Beziehungen», «Sinn» und «Zielerreichung» zu unterstützen und ihnen so zu einem «Aufblühen» zu verhelfen.
Spätestens seit den 1980er-Jahren wird der Aktivierung der Ressourcen von Klientinnen und Klienten in den unterschiedlichen Anwendungsfeldern der psychologischen Beratung eine zentrale Bedeutung zugesprochen. Es konnte nachgewiesen werden, dass Gespräche dann besonders erfolgreich waren, wenn die persönlichen Ziele der Klientinnen und Klienten herausgearbeitet, bekräftigt und ausgeweitet werden konnten. Fördernd zur Zielerreichung war ein Empowerment mit dem Ziel, die bereits vorhandenen positiven Seiten und Fähigkeiten eines Klienten zu erkennen und zu stützen. Als weiteres Kernelement gelten in der Beratung die gezielte Vermittlung neuer Informationen und die Einübung neuer und bis dahin ungewohnter Bewältigungskompetenzen.
Forschungsergebnisse zeigen, dass therapeutische Behandlungserfolge nicht vom Schweregrad der Persönlichkeitsstörungen eines Menschen abhängig sind. Hohe Erfolgszahlen bei extrem schwierig zu behandelnden Patienten waren vielmehr in einem erheblichen Ausmass davon abhängig, wie sehr ein «Therapieoptimismus» nach innen und aussen vertreten wurde. D. h., wenn die Therapeuten selbst an den Erfolg ihrer Tätigkeit glauben und dies auch so vermitteln, arbeiten sie deutlich effektiver. Diese Erkenntnis ist zentral für die Beratungsarbeit.
Enge Begleitung
Im therapeutischen Kontext wird immer wieder festgehalten, dass eine enge Begleitung sehr zentral für eine gelingende Zielerreichung ist. Dies kann unter Umständen auch in der Sozialen Arbeit sehr wichtig sein, beispielsweise im Bereich der Arbeitsintegration. Hier lohnt es sich, eine Person im Integrationsplan zeitnah zu begleiten und zu unterstützen. In einzelnen Fällen konnte festgestellt werden, dass eine enge Begleitung ausschlaggebend für den Erfolg war. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem Arbeitgeber, einer Ausbildungsinstitution oder anderen Involvierten kann wegweisend sein. Dem Klienten oder der Klientin wird auch in schwierigen Momenten vermittelt, dass man an ihre Stärken und ihr Können glaubt. Diese positive Grundhaltung gilt in der Positiven Psychologie als eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Beziehung und die Erreichung der gesetzten Ziele mit den Betroffenen. Die Begleitung kann je nach Fall über die üblichen Termine hinausgehen. Dabei stossen die Beratenden jedoch an ihre Grenzen, da zu wenig zeitliche Ressourcen verfügbar sind.
Damit eine Intervention wirkt, muss sie zur Person passen, mit der sie durchgeführt wird. Dies kann in der Beratung relativ einfach sichergestellt werden, da die Interventionen ja mit den Betroffenen direkt besprochen und vereinbart werden. Im Gespräch können Stärken, Interessen oder auch allfällige Befürchtungen thematisiert und die Interventionen entsprechend angepasst werden. Erfahrungen und Feedbacks können dazu beitragen, dass die Interventionen an die Lebensgewohnheiten und den Alltag des Klienten angepasst werden können. Dies trägt zu einer besseren Wirkung einer positiven Intervention bei.
Wie hilfreich ist der Beratungsansatz der «Fürsorge»?
Eine Geschichte aus dem Alltag in der Sozialhilfe: Eine Mutter fühlte sich mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert und wünschte sich eine Entlastung. Für die Kinder konnte dann ein Platz in der Kita gefunden werden. Einige Jahre später änderte die Zielsetzung: Die Mutter wurde wieder an ihre Verantwortung erinnert und die Kinderbetreuung gekündigt. Die Mutter war ausser sich und vollkommen überfordert, die Erziehung ihrer Kinder wieder zu übernehmen. Zu lange hatte sie die Erziehungsrolle nicht mehr wahrgenommen. Dieses Beispiel und wissenschaftliche Studien zeigen, dass Fürsorge allein nicht zielführend sein kann. Eine positive Intervention zeigt oft nur dann Wirkung, wenn sie im Sinne eines «Empowerments» oder als «Hilfe zur Selbsthilfe» erfolgt, wenn die Selbstwirksamkeit gefördert und unterstützt werden kann. Dieses Umdenken hat in der Sozialarbeit schon lange Einzug gehalten, und doch scheint die Umsetzung viel anspruchsvoller zu sein als angenommen. Dieses Empowerment fordert die Beratenden vor allem auch im Zeitmanagement. Manchmal braucht es ein sehr enges Coaching, um ein Ziel wie die Integration in den ersten Arbeitsmarkt mit dem Betroffenen zu erreichen. Solche zusätzlichen Ressourcen stehen in den Sozialdiensten oft nicht zur Verfügung.
Gesprächsführung als Schlüssel für erfolgreiche Beratung
Wie können nun die positiven Interventionen im Gespräch mit Klienten gelingen? Die Art der Gesprächsführung ist zentraler Bestandteil in der persönlichen Beratung. Dies bedingt, dass die Beratungspersonen ihre Beratungskompetenzen im Hinblick auf die positiven Interventionen erweitern können. Sie können sich selbst mithilfe der Positiven Psychologie in ihrer Selbstwirksamkeit stärken und so auch schwierige und konflikthafte Gespräche erfolgreich führen.
Die empirische Psychotherapieforschung konnte überzeugend dokumentieren, dass die Beziehungsgestaltung ein wichtiger Faktor für den Beratungserfolg ist. Dazu können drei Beziehungskomponenten aufgeführt werden: emotionale Bindung, gemeinsame Beratungsziele (Zielvereinbarung) und Übereinstimmung beim Vorgehen (Planung). Die ressourcenaktivierenden Interventionen und eine positive Beziehungsgestaltung können bei den Betroffenen eine erhöhte Aufnahmebereitschaft und eine gesteigerte Mitarbeit auslösen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Beziehung zwischen der beratenden Person und ihrer Klienten und Klientinnen aus. Bei der Klientin oder dem Klienten soll dadurch erreicht werden, dass ein eigener Problemlösungsprozess innerhalb und ausserhalb der Beratung angestossen wird. So kann die Erprobung neuer Verhaltensmuster begünstigt werden.
In Bezug auf die Beratung in der Sozialhilfe scheint auch wichtig zu sein, dass Stolpersteine, die einer motivierenden Beziehungsgestaltung im Weg stehen könnten, angesprochen werden. So soll gegenüber den Klienten transparent aufgezeigt werden, dass in der Sozialhilfe die Existenz nach gesetzlichen Vorgaben gesichert wird, dies aber kein Hindernis für den Aufbau einer guten Beziehung ist. Erst dann können zusammen mit dem Klienten Ziele vereinbart und angegangen werden.
Die Zusammenarbeit mit den Klientinnen und Klienten ist mit der Haltung von Positiver Psychologie häufig zwar (zeit-)aufwendiger. Gleichzeitig stellt diese andere Art der Gesprächsführung aber auch eine Bereicherung der täglichen Sozialen Arbeit dar. Mit diesem Wissen und gezielten positiven Interventionen (in allen Prozessschritten, von der Anamnese über die Festlegung der Zielsetzungen bis zu den konkreten Massnahmen) kann eine erhöhte Selbstwirksamkeit beim Klienten/bei der Klientin gefördert werden. Bei gutem Gelingen könnte ein Resultat daraus sein, dass sich die Klienten/Klientinnen schneller von der Sozialhilfe ablösen können. Solche Erfolge lösen sowohl bei den Sozialarbeitenden als auch bei den Klienten/Klientinnen Zufriedenheit aus.
Beispiele von Interventionen
1. Reflexion unterstützen
Indem die Klienten ermutigt werden, z. B. ihre Ziele oder ihre Erfolge zu verschriftlichen, kann die Selbstreflexion gefördert werden. So erlaubt z. B. das abendliche Aufschreiben von «drei guten Dingen», die einem während des Tages widerfahren sind, das Einüben des «Perspektivenwechsels», also die Dinge mal von einer anderen (positiveren) Seite zu sehen. Dabei wird auch die Achtsamkeit gestärkt – das bewusste Wahrnehmen und das Innehalten in der Gegenwart.
2. Fragen nach den Stärken und Vorlieben
Fragen wie z. B. «Was können Sie gut?», «Was macht Ihnen Spass?», «Wann kommen Sie in Ihren Flow?», «Was ist Ihnen gelungen?» sind gerade für Menschen, die schon länger in Abhängigkeiten leben, wenig Erfolgserlebnisse und ein geringes Selbstwertgefühl haben, schwierig zu beantworten. Trotzdem lohnt es sich, diese im Gespräch zu stellen und so auch zur Selbstreflexion und zur Stärkung von Selbstwirksamkeit beizutragen. Das Führen eines «Stärketagebuchs» verstärkt diese Intervention.
3. Dankbarkeit und Optimismus üben
Jeder Mensch findet, wenn er genügend darüber nachdenkt, Dinge in seinem Leben, wofür er dankbar sein kann. Das können ganz kleine Sachen sein oder auch grössere Lebensereignisse. Wichtig ist es, dass sich die Klienten/Klientinnen bewusst mit dieser Frage auseinandersetzen. Es geht dabei darum, Dankbarkeit als «innere Haltung» zu entwickeln und einzuüben. Auch hier eignet sich (nebst dem Gespräch) das Dokumentieren in irgendeiner Form (Aufschreiben, Fotografieren, Aufnehmen usw.). Ebenfalls kann der «Perspektivenwechsel» geübt werden: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Wer sich regelmässig darin übt, Positives zu entdecken, wird über die Zeit eine optimistischere Haltung entwickeln. Auch hier empfiehlt es sich, die Klienten/Klientinnen anzuregen, Situationen aufzuschreiben, Emotionen, Veränderungen und Erfolge zu dokumentieren.
Was ist Positive Psychologie?
Die Positive Psychologie beschäftigt sich in Forschung und Praxis mit den Bedingungen und (Wechsel-)Wirkungen, die eine optimale Entwicklung von Personen, Gruppen und Organisationen ermöglichen. Die Positive Psychologie knüpft mit ihrer Sichtweise an Ideen der Humanistischen Psychologie an. Viele ihrer Schwerpunkte werden seit Jahrzehnten in der ressourcenorientierten Psychotherapie angewandt. Die Suche des Menschen nach Zufriedenheit, Wohlbefinden und Glück ist natürlich nicht neu. Bereits Aristoteles hat über Glück, Sinn und Tugend philosophiert. Abraham Maslow schliesslich hat den Begriff der «Positive Psychology» geprägt und wesentliche Grundprinzipien positiver menschlicher Entwicklungen aufgezeigt. Auch Carl Rogers hat den Menschen als grundsätzlich positiv und entwicklungsfähig angesehen.
Als weitere Zweige der Positiven Psychologie können die Konzepte von Erik Erikson (Lebenslange Entwicklung), Marie Jahoda (Seelische Gesundheit), Ed Diener, Peter Becker und Beate Minsel (Lebensqualität und Wohlbefinden), Klaus Grawe und Maja Storch (Ressourcenorientierung) genannt werden. Der Fokus auf die positiven Seiten der menschlichen Existenz ist in der Geschichte der wissenschaftlichen Psychologie nicht neu. Das Bemühen um eine breite Basis wissenschaftlicher Evidenz wurde jedoch durch den amerikanischen Psychologen Martin Seligman verstärkt. Er nahm 1998 das Konzept der «Positive Psychology» auf und wählte es zum Leitthema seiner Amtszeit als Präsident der «American Psychological Association».
Positive Psychologie hat das Ziel, Faktoren zu entdecken und zu unterstützen, die Einzelnen und Gemeinschaften dabei helfen, aufzublühen und nicht nur zu funktionieren oder «gesund zu werden». Die Positive Psychologie lässt sich bildlich darstellen mit dem sogenannten PERMA-Modell. Die Charakterstärken und Tugenden eines Individuums bilden das Fundament dieses Modells. Darauf stehen weiterführend fünf Pfeiler, die wesentliche Elemente des Lebens beschreiben: P ositive Emotions ( Gute Gefühle, Spass ), E ngagement (Beschäftigung, Motivation), R elationships (Beziehungen), M eaning ( Sinn, Sinnhaftigkeit ), A ccomplishment (Zielerreichung). Ausgehend von den eigenen Charakterstärken bauen die fünf Säulen die Grundlage für ein «Aufblühen» (Flourish) jedes Einzelnen.