Kinder und Jugendliche in der Sozialhilfe dürfen nicht zu kurz kommen

03.09.2023
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78 500 – dies ist gemäss Bundesamt für Statistik die Zahl der Kinder und Jugendlichen in der Sozialhilfe im Jahre 2021. Beinahe ein Drittel aller Sozialhilfebeziehenden in der Schweiz sind Kinder. Sie tragen somit das höchste Sozialhilferisiko. Besonders bei Kindern von Alleinerziehenden (Einelternfamilien), Grossfamilien oder bei Kindern von gering qualifizierten Eltern ist das Armutsrisiko sehr hoch. Trotz dieser Tatsache gibt es nur wenige Studien zum Thema Kinder und Jugendliche in der Sozialhilfe. Die konstant hohe Sozialhilfequote von Kindern und Jugendlichen in den langjährigen Statistiken weist auf eine Forschungslücke hin, und es besteht Handlungsbedarf.

In einem Elternhaus aufzuwachsen, in dem das Geld permanent knapp ist, kann weitreichende Folgen auf das spätere Leben haben. Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass Armut vererbt wird. Wie kann nun ein solcher Teufelskreis durchbrochen werden? Dass eine gute Bildung der Schlüssel zum (beruflichen) Erfolg ist, ist mittlerweile bekannt. Eine gute Ausbildung ebnet den Weg in den Arbeitsmarkt und unterstützt somit auch die soziale Integration in die Gesellschaft.

Holz, Laubstein & Sthamer (2012) haben ein kindbezogenes Armutskonzept entwickelt. Um die Lebenslage der Kinder und Jugendlichen zu verstehen, ist ein mehrdimensionaler, kindgerechter Blick nötig. Armut ist weit mehr als nur materielle Unterversorgung (Grundversorgung, Wohnsituation, Konsum). Neben der materiellen Dimension gilt es, den Blick auch auf die soziale (Einbindung und Partizipation), gesundheitliche (physisch und psychisch, Ernährung) und kulturelle Dimension (Zugang zu Nachhilfe- oder Musikunterricht, Schwimmunterricht usw.) zu richten, um einen realitätsnahen Blick auf Armut bei Kindern und Jugendlichen und ihren Familien zu erlangen.

Die SKOS bezieht sich in ihren Richtlinien auch auf die Bundesverfassung und führt unter C.6.4., dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus:

Fördermassnahmen, eine ambulante Unterstützung der Familie oder der Besuch einer Spielgruppe zur sozialen Integration bzw. Sprachförderung können sinnvoll und wichtig sein. Gleiches gilt für Freizeitaktivitäten der Kinder. Auslagen für solche Massnahmen können als fördernde situationsbedingte Leistungen (SIL) übernommen werden. Bei der Prüfung der Kosten ist zu berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche einen grundrechtlich garantierten Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung (Art. 11 BV) haben.

Bei der Beurteilung von SIL spielt das Ermessen der Behörden eine zentrale Rolle. Ob und in welchem Umfang SIL genehmigt werden, ist zu einem grossen Teil von den zuständigen Sozialarbeitenden und den Fürsorgebehörden abhängig. Es ist zentral, dass die Sozialarbeitenden den vorhandenen Ermessensspielraum nutzen und sich für die Interessen und den Förderbedarf der Kinder einsetzen. Und es ist wichtig, die Behörden zu überzeugen, dass solche Fördermassnahmen im Interesse der Gesellschaft sind. Bei der Erarbeitung einer Situationsanalyse und einer Fallstrategie dürfen die Kinder und Jugendlichen nicht vergessen gehen. So gehört es auch dazu, neben den Eltern auch die Kinder einzubeziehen und ihre Bedürfnisse aufzunehmen.

Oftmals erscheinen die Kinder erst dann auf dem Radar, wenn sie eine Lehrstelle suchen. Wichtig wäre es aber, in die frühe Kindheit zu investieren, Tagesstrukturen, Spielgruppen oder weitere Fördermassnahmen zu ermöglichen und bei Bedarf mit Drittstellen interdisziplinär zusammenzuarbeiten (zum Beispiel Mütter-Väter-Beratung, sozialpädagogische Familienbegleitung, Schulsozialarbeit, Schule usw.). So können Kinder und Jugendliche in der Sozialhilfe möglichst früh abgeholt und umfassend unterstützt werden, damit die Chancen etwas gerechter verteilt sind und der Teufelskreis der Armut durchbrochen werden kann. Die SKOS sollte diesem Thema mehr Beachtung schenken. Ein erster Schritt ist die Bieler Tagung am 21. März 2024, die sich mit Kindern und Jugendlichen in der  Sozialhilfe befassen wird.

Audrey Hauri
Leiterin Hauptabteilung Soziales Kanton Glarus Mitglied SKOS-Geschäftsleitung