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Schwerpunkt

Genf setzt auf Vertrauen, Verantwortung und Autonomie 

02.09.2024
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Das per 2025 in Kraft tretende Gesetz über die Sozialhilfe und die Bekämpfung der Prekarität will die Administration reduzieren und die soziale Begleitung aufwerten. Hospice général nutzt dies für einen Paradigmenwechsel von Kontrolle zum vertrauensvollen Umgang, damit Sozialarbeitende sich wieder vermehrt auf die individuelle Betreuung konzentrieren können.

Die Aufgabe des Hospice général besteht darin, unterstützte Personen auf dem Weg in eine dauerhafte Selbstständigkeit zu begleiten. Das 2012 in Kraft getretene Gesetz über die Eingliederung und individuelle Sozialhilfe (LIASI) war hauptsächlich auf die Rückkehr in den Arbeitsmarkt ausgerichtet. Es hat aber weder die gewünschten Zielsetzungen erreicht, noch konnte es die Zunahme der Prekarität aufhalten. Zwischen 2012 und 2023 hat sich die durchschnittliche Betreuungsdauer von Personen in der Sozialhilfe von 38 auf 59 Monate verlängert.

Am 1. Januar 2025 wird das Gesetz über die Sozialhilfe und die Bekämpfung der Prekarität (Loi sur l’aide sociale et la lutte contre la précarité, LASLP) in Kraft treten. Dieses Gesetz berücksichtigt auch weiterhin den Stellenwert der Arbeit, wertet aber zusätzlich die Bedeutung der sozialen Begleitung auf, um dauerhafte Wiedereingliederungen zu fördern. Das LASLP bietet dem Hospice général eine grosse Chance, bisherige Praktiken zu überarbeiten und den Verwaltungsaufwand zu vereinfachen und zu reduzieren. Folglich können sich unterstützte Personen und die Sozialarbeitenden besser auf Projekte zur dauerhaften Selbstständigkeit konzentrieren.

Grundprinzip des neuen Gesetzes ist die Vereinfachung des Verwaltungsaufwande. Sie soll die Begleitung der unterstützten Personen in den Mittelpunkt der Tätigkeit der Teams vor Ort stellen. Noch immer wird zu viel Zeit und Energie für die Administration von Dokumenten und andere Verwaltungsaufgaben aufgewendet, die losgelöst sind von der sozialen Betreuung. Da die Mitarbeitenden mit der Beschaffung und Bearbeitung von Dokumenten beschäftigt sind, haben sie der Administration oftmals Priorität eingeräumt. Dies hat verhindert, dass sie ein notwendiges Verständnis für die Situation der Personen entwickeln, um mit ihnen einen spezifischen Plan zur sozialen Begleitung und beruflichen Eingliederung aufzubauen.

Paradigmenwechsel

Damit wird das derzeitige System infrage gestellt: von der Kontrolllogik zu einer Logik der Begleitung, des Verantwortungsbewusstseins und des Vertrauens; von einem standardisierten Ansatz zu einem Ansatz, der spezifisch auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen zugeschnitten ist. Ziel ist es, die Handlungsfähigkeit der unterstützten Personen zu entwickeln, ihnen Autonomie und Vertrauen zurückzugeben und sie zu Akteuren ihres Weges zu machen. Auf diese Weise soll auch der soziale Zusammenhalt gestärkt werden.

Das Hospice général will sich wieder auf die individuelle Begleitung konzentrieren, um den Bedürfnissen der unterstützten Personen möglichst gerecht zu werden, die berufliche und soziale Eingliederung zu stärken und die dauerhafte Eingliederung durch Aus- und Weiterbildungen sowie Umschulungen zu fördern. Die Institution zielt darauf ab, die Mechanismen zu reduzieren, die Menschen in der Sozialhilfe festhalten.

Das Hospice général hat sich diesem Paradigmenwechsel verschrieben und strebt auch an, den Zugang zu Sozialhilfeleistungen zu erleichtern und die Nichtinanspruchnahme zu bekämpfen. Sozialhilfe ist ein Recht. Ab Januar 2024 haben alle Sozialhilfezentren (CAS) ihre Öffnungs- und Telefonzeiten für den gesamten Kanton erweitert. Die Teams haben sich neu organisiert, um allen Personen, die sich in einer finanziellen oder sozialen Notlage befinden, einen raschen und bedingungslosen Empfang zu bieten. Sie organisieren Sprechstunden ohne Voranmeldung, in denen die Personen sofort oder spätestens innerhalb von 24 Stunden empfangen werden können, um ein erstes Gespräch zu führen, Informationen und gegebenenfalls eine finanzielle Leistung zu erhalten.

Seit diesem Jahr ist es einfacher, Leistungen zu beantragen. Das ursprünglich zehnseitige Formular wurde auf ein absolutes Minimum reduziert, an die besondere Situation jedes Einzelnen angepasst und wird nun in Anwesenheit des Sozialarbeitenden ausgefüllt. Die Auskünfte erfolgen aufgrund von Erklärungen, ohne dass Belege erforderlich sind. Das Wort des Antragstellenden ist verbindlich, und die Fachkraft hilft aktiv bei der Suche nach entsprechenden Informationen.

Eigenverantwortung

Die Auszahlung von finanziellen Leistungen kann daher rasch erfolgen und wird nicht mehr aufgrund fehlender Dokumente blockiert. Unterstützte Personen sind für die Übermittlung der für die Beurteilung ihrer Situation erforderlichen Informationen verantwortlich. Für weniger selbstständige Leistungsempfangende dient das Dokument als pädagogisches Hilfsmittel zur Stärkung ihrer Selbstständigkeit. Eine schnellere und gründlichere soziale Bewertung präzisiert den Grad der Autonomie jeder unterstützten Person und hilft, die Modalitäten der Begleitung festzulegen.

Die Schaffung von Vertrauen und die Aufwertung des erklärenden Teils bedeutet nicht, dass auf die Einsichtnahme in bestimmte Dokumente verzichtet werden soll. Es soll jedoch betont werden, dass das Formular und die darin enthaltenen Informationen wichtig sind und dass die Administration konstruktiv in den Betreuungsprozess eingebunden ist. Das neue Gesetz wird auch Pauschalleistungen einführen, die ohne systematische Kontrolle an die Empfängerinnen und Empfänger ausgezahlt werden, um sie bei der Verwaltung ihres Budgets zu befähigen. Sie werden dabei von den Sozialarbeitenden angeleitet.

Es handelt sich um eine veränderte Sichtweise auf unterstützte Personen, die nicht mehr als potenzielle Betrügerinnen und Betrüger betrachtet werden, die kontrolliert werden müssen, sondern als Personen, die zur Selbstständigkeit geführt werden. Die Kontrollen erfolgen nun im Nachhinein, stichprobenartig und werden zentral von der Institution durchgeführt. Mitarbeitende vor Ort haben nicht die Aufgabe zu kontrollieren, sondern zu begleiten.

Schnelleren Zugang zu finanziellen Leistungen ermöglichen

Ziel ist es, einen schnellen Zugang zu finanziellen Leistungen zu ermöglichen, damit sich die betroffenen Personen auf die wesentlichen Aspekte ihrer Situation konzentrieren können. Dazu zählen insbesondere jene Elemente, die die Integration, den Alltag und das Berufsleben beeinflussen, um eine schnelle Wiedereingliederung zu fördern. Die grösste Herausforderung besteht darin, die Arbeit der Mitarbeitenden zu vereinfachen, indem alle internen Dokumente und Formulare überarbeitet und auf das Wesentliche reduziert werden.

Die Verfahren werden nach und nach durch Grundsätze ersetzt, die mit der sozialen Betreuung in Verbindung stehen und eine gemeinsame Grundlage definieren. Diese Entwicklung zielt darauf ab, die Beziehung der Klientinnen und Klienten zur Institution zu vereinfachen und den Sozialarbeitenden die Möglichkeit zu geben, sich wieder auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Diese Änderung der Philosophie erfordert den Übergang von einer dokumentenorientierten zu einer informationsorientierten Verwaltung. Der Austausch mit den Klienten wird verstärkt, und es wird Vertrauen in ihre Fähigkeit aufgebaut, sich an der Lösung ihrer Probleme zu beteiligen. Vertrauen, Zusammenarbeit und Kommunikation sind die Schlüsselbegriffe für den Erfolg.