Erfolgsfaktoren und Herausforderungen der Eingliederungsmassnahme «VIP» im Kanton Freiburg
Für viele Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen ist eine sozialpädagogische, motivierende und professionelle Unterstützung oft entscheidend, um einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Dies ist das Ziel der Massnahme zur sozioprofessionellen Eingliederung «Vers une insertion professionnelle» (VIP), die im Januar 2020 vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk (SAH) Freiburg eingeführt wurde und eine Kombination aus beruflichen Workshops, sozialpädagogischen Aktivitäten, Musik und persönlicher Entwicklung bietet.
Die Massnahme zur sozialen Eingliederung VIP bietet Jugendlichen im Kanton Freiburg eine individuelle Unterstützung, damit sie wieder eine Tagesstruktur und einen Arbeitsrhythmus finden, ihr Selbstvertrauen stärken und die für eine sozioprofessionelle Eingliederung notwendigen Grundkompetenzen entwickeln können. Zu Beginn bestand das Ziel des Programms darin, Jugendliche individuell zu begleiten, um ihnen den Zugang zu einer Berufsausbildung zu ermöglichen.
Der Mangel an Unterstützung durch die Familienstruktur ist der grösste gemeinsame Nenner der Jugendlichen. Dazu kommen weitere Faktoren wie Drogenkonsum, Kleinkriminalität oder psychische Verhaltensauffälligkeiten (Angstzustände, bipolare Störung, Borderline-Persönlichkeit usw.). Schlechte Lebensbedingungen, die von einem gestörten Lebens- und Schlafrhythmus bis hin zu einem Leben ohne festen Wohnsitz reichen, sind weitere Problematiken der Jugendlichen. Einige befinden sich an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Einrichtungen oder Betreuungssystemen (Sozialhilfe, Asyl, Invalidenversicherung usw.) oder haben zusätzliche Schwierigkeiten beispielsweise mit der Justiz oder Sucht.
All diese Bedingungen verunmöglichen es den Jugendlichen, sich für ein Praktikum, eine Lehre, eine Ausbildung und erst recht für eine Arbeitsstelle zu engagieren, was mittel- bis langfristig zu erheblichen sozialen Vulnerabilitäten führt. Diese Situationen zeigen zudem das Fehlen einer Früherkennung dieser zugrunde liegenden und oft seit der Kindheit bestehenden Probleme sowie das Fehlen einer angemessenen Betreuung. Die Massnahme VIP soll diese Lücke in Bezug auf die Begleitung und Betreuung von Jugendlichen schliessen, deren Werdegang von erzieherischen Mängeln und schulischen Misserfolgen geprägt ist.
Zu Beginn der Massnahme VIP fühlen sich die Jugendlichen «verloren», da sie keinen klaren Plan für ihre Zukunft haben. Hinzu kommen starke finanzielle Einschränkungen, die ihre Handlungsfähigkeit zusätzlich schwächen. Viele beziehen Sozialhilfe, einige leben in einem Einelternhaushalt. Häufig bezieht ein Elternteil Leistungen einer Sozialversicherung (ALV, IV), Sozialhilfe oder übt eine prekäre Tätigkeit aus. Die erwachsene Bezugsperson investiert in der Regel wenig in die elterliche Beziehung. Wenn die Jugendlichen auf ihren Werdegang zurückblicken, nennen sie Wendepunkte insbesondere im Zusammenhang mit ihrer schulischen Laufbahn, die als «Misserfolge» bezeichnet werden. Das Programm VIP zielt darauf ab, maximal 14 junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren für eine Dauer von drei bis 12 Monaten zu betreuen. Konkret richtete sich VIP bis dato an Jugendliche im Alter von 18 und 25 Jahren, die (noch) nicht in das ursprüngliche Programm «Zukunft 20-25» (heute «Zukunft Berufsbildung» genannt) einsteigen konnten oder dieses aus verschiedenen Gründen abbrechen mussten. Durch sozialpädagogische, persönlichkeitsfördernde, musikalische und sportliche Aktivitäten deckt VIP unsichtbare oder den zahlreichen Misserfolgen zugrunde liegende Probleme auf, die den Werdegang dieser Jugendlichen kennzeichnen und die von anderen beteiligten Fachpersonen (Sozialarbeitende, Case Manager, RAV-Beratende) nicht ausreichend erkannt und untersucht werden konnten und auch von den Jugendlichen selbst nicht angesprochen wurden.
Eine bedürfnisorientierte Massnahme
Im Rahmen einer von der Hochschule für Soziale Arbeit (HSA-FR) durchgeführten Evaluation der Massnahme VIP wurden verschiedene beteiligte Akteurinnen und Akteure interviewt, darunter auch die Jugendlichen selbst. Daraus geht hervor, dass Letztere den Wunsch haben, ihren Lebensstil zu ändern und «auszusteigen», sich aber hilflos fühlen und nicht über die notwendigen Ressourcen dazu verfügen. Die teilnehmenden Jugendlichen äussern häufig das Gefühl, mit den Ereignissen ihres bisherigen Lebens «überfordert» zu sein. Gleichzeitig zeigen sie aber auch ein klares Bewusstsein für ihre persönliche Situation und wissen um ihre Schwierigkeiten und deren Folgen.
Zu ihrer Wahrnehmung der Massnahme VIP befragt, betonen die Jugendlichen deren ganz konkreten Nutzen (Hilfe bei der Beantwortung behördlicher E-Mails, bei Terminvereinbarungen, Aufgleisen einer medizinischen Betreuung usw.) und den positiven Einfluss auf ihr Wohlbefinden: Die Teilnahme am Workshop und der Kontext, in dem die Aktivitäten des Programms VIP stattfinden, wirken sich positiv auf ihren Lebensrhythmus und umso mehr auf ihre Gesundheit aus.
«Mich wieder in die Spur zu bringen, hat schon etwas bewirkt, ich ernähre mich wieder besser, habe wieder einen Rhythmus. Ich fing langsam an, deprimiert zu werden [...] wie soll ich sagen, halt nervös, ich habe mich über alles Mögliche aufgeregt. Es wurde unerträglich, sogar für mich. Und einen geregelten Ablauf zu haben und meine Gedanken auf etwas zu fokussieren, anstatt nichts zu tun, hilft mir sehr.»
Einige Jugendliche betonen auch die sozialen Kompetenzen, die sie im Rahmen der sozioprofessionellen Eingliederung erworben haben, sei es im Zusammenhang mit der Einhaltung von Sicherheitsregeln, der Zusammenarbeit bei Aktivitäten, der sozialen Interaktion mit anderen Jugendlichen oder mit den in der Einrichtung tätigen sozialpädagogischen Betreuungspersonen.
Schliesslich schätzen die befragten Jugendlichen sowohl die Art und Weise der Begleitung als auch den vorgegebenen Rhythmus. Dass sich die Massnahme VIP über einen längeren Zeitraum erstreckt und mit weniger Druck verbunden ist, ermöglicht ihnen, (sich) erreichbare Ziele zu setzen.
«Endlich angekommen!»: Die Einschätzung der Fachkräfte
Case Manager, Sozialarbeitende, Sozialpädagoginnen und Erzieher sehen VIP als «gute Massnahme», die den Jugendlichen die Möglichkeit bietet, ihren Alltag zu strukturieren, einen regelmässigen Lebensrhythmus zu finden und die ihnen einen «Rahmen» gibt, in dem sie an ihrer beruflichen Ausdauer arbeiten können. Die Tatsache, dass die Jugendlichen manchmal mehrere Jahre lang nicht erwerbstätig waren, macht die Begleitung dieser Zielgruppe auf dem Weg der sozioprofessionellen (Wieder-)Eingliederung zu einer besonders komplexen Aufgabe. Die Anzahl und Vielfalt der Probleme und Fragilitäten, die bei diesen Jugendlichen auftreten, erfordern teils Aktivitäten zur Resozialisierung. Häufig werden im Rahmen des Programms auch schwerwiegendere Probleme aufgedeckt, medizinische Diagnosen gestellt und Jugendliche an eine geeignete Fachperson überwiesen. Nicht selten wird ein IV-Antrag gestellt.
Die Verantwortlichen der Sozialdienste im Kanton Freiburg schätzen es, dass VIP die Jugendlichen «abholt» und die Begleitung individuell auf sie und ihre aktuelle Lebenssituation anpasst. Die Eingliederungsmassnahme bietet den Jugendlichen Flexibilität, um ihre Fähigkeiten im Hinblick auf Ziele zu «testen», die sie mitgestalten und mitbestimmen können. Dieser Einbezug ist entscheidend für den Erfolg des Programms, denn er trägt dazu bei, dass die Jugendlichen wirklich zu Akteurinnen und Akteuren ihres eigenen Projekts werden.
Schlussfolgerungen und Denkanstösse für die Zukunft
Die Evaluation der Massnahme hat gezeigt, dass VIP der Betreuung einer spezifischen Zielgruppe entspricht, für die andere bestehende Programme ungeeignet oder nicht angemessen sind.
Die Ergebnisse der Evaluation unterstreichen die Bedeutung der Vertrauensbeziehung zu den Jugendlichen sowie die Herausforderung, nach Abschluss des Programms eine starke Bindung zu einer Bezugsperson aufrechtzuerhalten. In dieser Hinsicht setzt das sozialpädagogische Team von VIP vielfältige und breit gefächerte Kompetenzen ein (Job-Coaching, Coaching, sozialpädagogische Begleitung usw.), die den Jugendlichen auch nach Beendigung der Eingliederungsmassnahme in grösserem Umfang zur Verfügung gestellt werden können.
Diese «massgeschneiderte» Betreuung hat jedoch ihre Kehrseite. Die Art, der vom sozialpädagogischen Team erbrachten Dienstleistungen wirft ethische und deontologische Fragen auf, welche durch die besondere Zielgruppe zusätzlich verstärkt werden: Oft sind die Grenzen zwischen dem beruflichen und persönlichen Lebensbereich fliessend. So zum Beispiel, wenn es darum geht, Jugendliche zu Hause abzuholen, ihnen beim Umzug zu helfen, sie zum Arzt zu begleiten. Liegen diese Aktivitäten ausserhalb des vorgesehenen Interventionsbereichs und wird nicht sichergestellt, dass sie auch wirklich durchgeführt werden, ist die gesamte bisher geleistete sozialpädagogische Arbeit gefährdet, denn die Jugendlichen können dem Interventionsbereich entschlüpfen und sich (möglicherweise erneut) den zuständigen Stellen entziehen.
In Anbetracht sich überschneidender Aufgaben könnte die Massnahme VIP in Zusammenarbeit mit der Invalidenversicherung (IV) durchgeführt werden. Andere Kooperationsformen scheinen ebenfalls möglich, wie beispielsweise mit Organisationen, die für die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zuständig sind. Die Flexibilität des Programms, aber auch seine Fähigkeit zur individuellen Betreuung der Jugendlichen, sind zwei entscheidende Merkmale. Sie ermöglichen es, sich einem Zielpublikum mit spezifischen Bedürfnissen – z. B. Migrantinnen und Migranten oder Jugendliche mit psychischen Problemen – anzupassen und auf die einzelnen Personen einzugehen.
Die Frage der (fehlenden) Frühbetreuung – das Erkennen und Begleiten von «gefährdeten» sozialen Situationen – taucht in der Evaluation unterschwellig auf. VIP hilft eindeutig dabei, Situationen aufzudecken, deren Betreuung hätte vorweggenommen werden können, insbesondere beim Übergang in die obligatorische Schule. In dieser Hinsicht scheint die Präsenz und der Einsatz von Schulsozialarbeitenden von grundlegender Bedeutung zu sein. Der jüngste Entscheid des Kantons Freiburg, Dutzende von Sozialarbeitenden einzustellen, geht in diese Richtung. Lehrerinnen und Lehrer scheinen bei der Früherkennung ebenfalls eine entscheidende Rolle zu spielen. Das gesamte Schulsystem muss in diesem Sinne mobilisiert werden.
Die Feststellung, dass es Jugendliche gibt, die Mehrfachproblematiken kennen und als Opfer von Desozialisierung(en) beschrieben werden, stellt die bestehenden öffentlichen Institutionen und Sozialdienste vor grosse Herausforderungen, auch moralischer Art. Gleichzeitig werden das Engagement und die Verantwortung der Arbeitgeber und der Berufsverbände hinterfragt. Angesichts der Funktionsweise der Sozialhilfe im Kanton Freiburg und der geteilten Verantwortlichkeiten (und Finanzierung) zwischen Gemeinden und Kanton besteht insbesondere das Risiko regionaler Ungleichheiten in Bezug auf den Zugang und die zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten. Ein Mittel zur Begrenzung solcher Ungleichheiten könnte in der Erweiterung des Rechts auf Bildung auf kantonaler Ebene sein. Dies würde den Zugang zu einer Ausbildung oder einem Praktikum ermöglichen, ohne das Budget der Gemeinden zu belasten. Schliesslich könnte eine genaue Beobachtung des ansonsten dynamischen Phänomens der «Jugendlichen ohne Lösung» im Kanton Freiburg und ein verstärktes Monitoring der Entwicklung dieser sozialen Realitäten dazu beitragen, die Zersplitterung der (manchmal zu kurzen oder repetitiven) Massnahmen zu vermeiden und einem Schulabbruch vorzubeugen.