«Einsam in Gesellschaft – zwischen Tabu und sozialer Herausforderung»
Die meisten Menschen erleben in ihrem Leben Momente oder Phasen von Einsamkeit. Das ist normal. Lang anhaltende chronische Einsamkeit hingegen kann für Individuum und Gesellschaft erhebliche Auswirkungen haben. Einsamkeit ist schambehaftet und ein gesellschaftliches Tabu und wurde erst seit der Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit zum Thema. Eine Gruppe von jungen Forscherinnen und Forschern hat gemeinsam mit Betroffenen und Personen, die mit einsamen Menschen arbeiten, einen Sammelband verfasst und will damit einen Beitrag leisten, um das Thema zu enttabuisieren.
ZESO: Herr Arlt, Sie sind Student. Wie kommen junge Menschen wie Sie dazu, sich mit dem Thema Einsamkeit zu befassen?
Leon Arlt: Während der Corona-Krise sind auch für Studierende viele Kontakte weggebrochen, ein grundsätzlicher Bedarf ist entstanden. So kamen wir auf die Idee, das zu tun, was man an einer Universität gut machen kann: über solche Themen wie Einsamkeit zu reden, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Daher haben wir die Vortrags- und Diskussionsreihe «Lonely Lectures» organisiert. Diese fand online statt und stiess auf sehr grosses Interesse.
Während der Corona-Zeit litten offenbar viele Studierende unter Einsamkeit. Wie hat sich das bemerkbar gemacht?
Nora Becker: Studierende zeigten viel mehr Bedarf, nach einer Vorlesung oder einem Seminar mit Dozierenden noch über persönliche Dinge zu sprechen. Es gab auch mehr Fehltage aufgrund psychischer Probleme, oder es wurden zumindest häufiger solche als Grund angegeben. Vor allem die «Erstis» litten sehr darunter, dass man sich nicht in der Uni treffen konnte, Kontakte und Verabredungen nicht so unkompliziert zustande kamen. Daraus lässt sich nicht direkt ableiten, dass Studierende vermehrt unter Einsamkeit litten, aber es sind Anzeichen, dass die Beschäftigung mit dem Thema auch an der Universität und unter jungen Menschen wichtig ist.
Der Sammelband «Einsam in Gesellschaft» entstand, wie Sie sagen, aus der Erfahrung des Corona-Winters 2020/2021 heraus. Hat sich nun das Thema wieder beruhigt?
Denis Newiak: Ich habe kürzlich das Semester eröffnet, und ich denke schon, dass Corona noch nachwirkt. Nach drei Jahren voller Onlinelehrveranstaltungen ist es manchmal nicht mehr so einfach wie vor der Pandemie, ein dynamisches Lehrgespräch mit den Studierenden zu führen, manche sind sehr zurückhaltend geworden. Das ist meine subjektive Wahrnehmung, es ist eine ganz kleine Distanz übrig geblieben. Sie baut sich langsam ab, und ich hoffe sehr, dass irgendwann der Normalzustand zurückkehrt. Aber da sind wir jetzt noch nicht. Da hängt noch irgendwie ein Trauma in den Seminarräumen.
Es liegt nahe, dass Einsamkeit im Alter ein Thema für viele ist. Wann ist Einsamkeit ausgeprägter, in der Jugend oder im Alter?
Newiak: Gerade für junge Menschen ist Einsamkeit ein sehr präsentes Thema. Das liegt auch daran, dass junge Menschen sehr mit den Modernisierungsthemen konfrontiert sind, Digitalisierung, Urbanisierung, Wettbewerb im Studium und Arbeitsmarkt. Das sind Themen, die besonders vereinsamende Effekte haben können. Letztlich betrifft Einsamkeit aber alle Altersgruppen in der Gesellschaft. Sie drückt sich einfach unterschiedlich aus.
Heike Goebel: Ich denke auch, dass Einsamkeit alle Bevölkerungsschichten betrifft. Wir sehen in der Praxis viele Seniorinnen und Senioren, die einsam sind, weil sie beispielsweise keinen Partner mehr haben. Aber wir stellen fest, dass Einsamkeit auch häufig innerhalb der Familie anzutreffen ist, weil Partner sich nicht mehr zuhören, ihre Sorgen nicht miteinander teilen können, Kinder nicht mehr wahrgenommen werden und mit ihren Problemen in der Schule oder im Freundeskreis allein sind. Wir bieten auch eine psychologische Beratung an, und die wird von allen angenommen.
War das nicht immer schon so?
Goebel: Meine Erfahrung ist, dass seit der Corona-Krise die Praxen noch voller geworden sind und ein grosser Gesprächsbedarf herrscht. Neu ist, dass die Leute sich äussern. Sie sagen heute: Ich bin einsam, ich habe Sorgen, ich brauche jemanden zum Reden. Früher war es ein Stigma. Die meisten kamen in die Praxis für eine «Massage», um zu reden, man hatte schliesslich kein «psychisches Problem». Mir fällt auf, dass die Leute – wir sind ja ausschliesslich für Menschen in Armut und Not da – einen riesigen Bedarf haben, gehört zu werden. Das ist seit Corona schlimmer geworden. Sie sind voller Sorgen, und mit den vielen Krisen haben sie so viel zu tragen, dass sie keine Kraft mehr haben, auch noch ihrem Partner, ihren Kindern zuzuhören.
Noëmi Seewer: Es liegen Daten vor, die auf eine Zunahme von Einsamkeit während der Corona-Pandemie hindeuten. Wichtig jedoch ist, zu schauen, wie sich diese Zahlen über die Zeit entwickeln. Zu betonen ist auch, dass Einsamkeit vielleicht auch deshalb früher weniger thematisiert wurde, weil ihr ein Stigma anhaftet und weil sie ein eher diffuses Empfinden ist. Durch die Aufmerksamkeit während Corona wurden möglicherweise Worte für ein Empfinden gefunden, für das man vorher keine Worte hatte.
Jeder von uns ist manchmal allein, aber man ist deshalb nicht einsam. Was genau ist Einsamkeit eigentlich?
Seewer: Einsamkeit wird oft definiert als eine subjektive Erfahrung, die entsteht, wenn eine Diskrepanz zwischen den tatsächlich vorhandenen sozialen Beziehungen und jenen, die man sich wünscht, wahrgenommen wird. Dabei kann sich die Diskrepanz auf die Qualität und/oder die Quantität beziehen. Einsamkeit kann auch ein Alarm sein, wie Hunger oder Durst, dass da ein Mangel nach sozialer Verbundenheit herrscht, und uns motivieren, aktiv zu werden, um den Mangel zu beheben. Es ist wichtig, zu betonen, dass Einsamkeit grundsätzlich ein wichtiges Empfinden ist, und es nicht unser Ziel sein sollte, nie mehr einsam zu sein.
Ab wann ist Einsamkeit nicht mehr normal oder sogar krankhaft?
SEEWER: Hier liegt kein klares Kriterium vor, allerdings wird manchmal von chronischer Einsamkeit gesprochen, wenn Einsamkeit über einen Zeitraum von zwei Jahren oder länger anhält. Dann kann es sein, dass sich die Person nicht mehr selbst aus der Einsamkeit heraus befreien kann und in der Folge weitere psychische und physische Probleme auftreten, weshalb es wichtig sein kann, sich professionelle Unterstützung zu suchen.
Wir sind heute frei, uns scheiden zu lassen und wieder zu heiraten. Fällt es den Menschen heute schwerer, gute Beziehungen zu haben und damit nicht einsam zu sein?
SEEWER: Ich hüte mich davor, so pauschalisierende Aussagen zu machen. Für die einen ist die Scheidung eine Katastrophe, für die anderen ein Glück bringender Segen. Einsamkeit kann aber auch eine Folge von in der Gesellschaft verankerten Vorstellungen darüber sein, wie ein glückliches Leben aussieht. Wer diesen Normvorstellungen nicht entspricht, keine Familie oder keinen Ehepartner hat usw., fühlt sich deshalb vielleicht einsam.
Newiak: Einerseits haben wir heutzutage viele neue Freiheiten und Möglichkeiten, aber es kann zugleich natürlich für die Einzelnen auch sehr herausfordernd sein, mit ihnen umzugehen. Wir dürfen die Einsamkeit aber nicht nur auf das einzelne Individuum beziehen, sondern müssen sie auch als gesamtgesellschaftliches Phänomen sehen. Wenn ich an die Krisenerfahrungen der letzten Jahre denke, stelle ich fest, dass hier Einsamkeit nicht nur in der individualpsychologischen Perspektive in Erscheinung tritt, sondern auch eine makrosoziale Dimension hat. Beim Klimawandel beispielsweise setzen sich manche so intensiv mit dem Thema auseinander, dass sie existenzielle Zukunftsängste entwickeln. Früher nannte man das Entfremdungsgefühl, heute würde ich eher von Einsamkeiten sprechen. Im Plural, weil es sich um eine bunte Gemengelage der Ursachen und Gefühle handelt.
BECKER: Mit Blick auf die Forschungsergebnisse kann man dann sogar von drei Ebenen von Einsamkeit sprechen: Die emotionale Einsamkeit betrifft die engen Beziehungen, die Einbindung in Vereine, der Bäckergruss eine soziale Ebene, und die existenziellen Fragen betreffen die dritte Ebene.
Goebel: Nicht vergessen dürfen wir auch die körperliche Einsamkeit. Die Leute lechzen nach Berührung. Auch das ist ein Grundbedürfnis, das krank machen kann, wenn es nicht befriedigt wird.
Newiak: Und all das hängt sehr komplex miteinander zusammen. Der Mensch nimmt sich von Geburt an getrennt von der Umwelt und als Individuum wahr, das Kontakt erst aufbauen muss. Die neuen Entwicklungen verstärken das, indem sie Begegnungen unwahrscheinlicher machen. Es wird unwahrscheinlicher, gute Kommunikation herzustellen, weil die Digitalisierung, allen wünschenswerten Effekten zum Trotz, auch Distanz herstellt. Zufallsbegegnungen werden auch seltener, wenn wir allein wohnen, was immer mehr Menschen tun, auch Studierende.
Seewer: Interessanterweise scheint es so, dass in der «realen» Welt sozial gut vernetzte Personen von neuen digitalen Möglichkeiten profitieren, während bei sozial schlechter vernetzten Personen beispielsweise soziale Medien zwar dem Knüpfen neuer Kontakte dienen können, die Kontakte in der «realen» Welt jedoch nicht ersetzen.
Ein Teil unserer Bevölkerung kommt aus fernen Ländern. Für diese Menschen ist es oft schon wegen der Sprache noch schwieriger gute Kontakte zu bilden und sich nicht einsam zu fühlen.
Goebel: Viele Menschen, die zu uns kommen, haben einen ganz anderen Kontext. Sie haben Kriegserfahrung, die wir nicht haben und daher nicht mit ihnen teilen können: Auch das macht einsam, wenn man seine Erfahrungen nicht teilen kann.
BECKER: Das ist ein weiteres Beispiel, wie die Erfahrungs- und Lebensrealität bei Einsamkeit eine Rolle spielt. Einer unserer Autoren sagte, Einsamkeit ist, wenn man nicht verstanden wird. Auch wenn wir es versuchen: Manchmal können wir Dinge einfach nicht verstehen. Erfahrungen, die andere gemacht haben, wie Gewalt, Gefängnis usw., werden wir nicht verstehen, wenn wir sie nicht selbst gemacht haben. Das spüren die Betroffenen, und das kann sie einsam machen.
Einsamkeit kann für die betroffenen Menschen gravierende Folgen haben. Sie haben beispielsweise häufiger gesundheitliche Probleme als Menschen, die sich gut eingebunden fühlen.
Goebel: Wir merken deutlich, dass die Leute, die zu uns kommen, durch die Einsamkeit krank werden bzw. sich ihre Krankheitssymptome verstärken. Das betrifft psychologische Erkrankungen wie Depressionen oder auch sogenannte psychosomatische Erkrankungen wie Schmerzen, Magen-Darm-Probleme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen usw. Aber eben häufig auch Verspannungen. Die Leute sind massiv verspannt. Ich merke, dass sie reden müssen. Erst wenn sie geredet haben, oft wie ein Wasserfall, lässt die Verspannung nach. Die Leute kommen Woche für Woche, weil sie ein Redebedürfnis haben. Allein das Zuhören und Berühren lindert ihre Schmerzen.
Armut erhöht die Wahrscheinlichkeit, sich einsam zu fühlen. Je niedriger das Einkommen, umso höher die Wahrscheinlichkeit, einsam zu sein. Ist es auch umgekehrt? Kann Einsamkeit arm machen?
Goebel: Einsamkeit gibt es in allen Schichten, egal wie viel Geld jemand hat. Armut führt jedoch zu einem Gefühl des Ausgegrenztseins. Von Armut Betroffene können an vielem nicht partizipieren, oft sieht man ihnen und ihren Kindern die Armut auch an, sie erhalten entsprechende Reaktionen. Das erzeugt zusätzliche Einsamkeit. Sie sind stigmatisiert, gehören nicht dazu, können nicht mal ins Schwimmbad gehen. Diese Menschen kommen zu uns. Auffällig ist, dass diese Menschen selbst kompensieren. Sie haben eine sehr schlechte Ernährung, die sehr, sehr zuckerhaltig ist. Sechs bis sieben Stück Zucker in einem Kaffee sind nicht ungewöhnlich, ebenso Rauchen, Alkohol oder Antidepressiva. Das sind ihre verzweifelten Versuche, mit der Situation klarzukommen. Gespräche und Behandlung helfen. Aber das ist in unserem wirtschaftlich geprägten Gesundheitssystem nicht abgedeckt.
Damit etwas gemacht wird, ist es häufig sinnvoll, die Kosten eines Problems zu berechnen. Wie viel kostet Einsamkeit die Gesellschaft?
Newiak: Das ist schwer zu quantifizieren. Ich kann mir aber vorstellen, dass das horrende Kosten sind, die durch Einsamkeit verursacht werden. Allein für den deutschsprachigen Raum dürften sie in den dreistelligen Milliardenbereich gehen. Man denke nur an den volkswirtschaftlichen Schaden und die unmittelbar entstehenden Sozialkosten durch Arbeitsausfälle aufgrund vermeidbarer Erkrankungen in diesem Kontext.
Die Frage ist, was man tun kann. England hat ein Ministry of Loneliness, in Deutschland hat die Bundesregierung eine Strategie gegen Einsamkeit in Aussicht gestellt. In der Schweiz gibt es derzeit keine Einsamkeitsdebatte, sondern einzelne Projekte, vor allem gegen Einsamkeit im Alter.
Newiak: Auch in Japan wurde ein Einsamkeitsminister einberufen. Anscheinend merken alle aber langsam, dass man durch Symbolpolitik nicht wirklich an das Thema herankommt. Positiv ist, dass diese Aktivitäten zeigen, dass die gesellschaftliche Dimension wahrgenommen wird. Man stösst aber immer wieder an Grenzen, da das Thema die gesamtgesellschaftlichen Strukturen so tief durchdringt, dass man es nicht so einfach durch politische Einzelmassnahmen wegkriegen wird. Persönlich frage ich mich, ob es nicht besser wäre, in einem bestimmten Mass anzuerkennen, dass die Modernisierung neben den positiven Seiten eben auch diese negativen hat. Und wir müssen herausfinden, wie der Einzelne befähigt werden kann, damit umzugehen, und dabei wird auch die Kulturtechnik des Aushaltens von Einsamkeit eine Rolle spielen.
Seewer: Ich finde es wichtig, dass es politische Initiativen wie das Kompetenznetz Einsamkeit in Deutschland gibt. Solche Strategien können ein wichtiges Zeichen setzen, einerseits weil man darüber spricht, andererseits weil es wichtig ist, systematisch zu erfassen, wer sich einsam fühlt, wie einsam die Betroffenen sich fühlen usw. Das ist eine wichtige Grundlage, um wirksame Massnahmen ableiten zu können. Vieles ist hier noch nicht ausreichend belegt. Ich denke auch, dass es wichtig ist, dass wir über Einsamkeit sprechen, um die Menschen zu sensibilisieren, damit sie zu ihren sozialen Kontakten Sorge tragen, offenen Auges durch den Supermarkt gehen, jemanden anlächeln.
Newiak: Eine Gesellschaft, in der Menschen nicht ausgeschlossen werden und sich möglichst gut eingebunden fühlen, ist vermutlich die beste Prävention gegen Einsamkeit. Es wird eine grosse Herausforderung für die Zukunft sein, herauszuarbeiten, wie eine Gesellschaft gestaltet sein muss, damit Menschen in allen Lebensphasen zufriedenstellende soziale Beziehungen führen können und nicht vereinsamen.
Goebel: Ich glaube, es gibt eine Verantwortung beim Individuum, aber auch bei der Gesellschaft. Es kann nicht sein, dass wir uns nur darum kümmern, ob jemand eine Decke über dem Kopf und etwas im Magen hat. Haben wir nicht auch eine Verantwortung als Gesellschaft? In der Familie findet nicht mehr all das statt, was fürs Leben wichtig wäre, stattdessen sitzen auch Eltern ständig am Handy. Woher sollen die Kinder lernen, einen guten Umgang zu finden?
Newiak: Ja genau. Mir geht es darum, den Einzelnen zu befähigen, beispielsweise Mediennutzungskompetenzen zu entwickeln. Da müssen Lehrer oder Ausbildner befähigt werden. Und da hinkt der deutsche Lehrplan leider hinterher.
BECKER: Aus staatlicher Sicht müssen Voraussetzungen für die Befähigung geschaffen werden, also Bildung und solche für eine entsprechende Einkommensstruktur. Es geht nicht, dass jemand nicht genug Geld hat, um sich für einen Kaffee unter Leute zu setzen.
Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft. Werden wir Menschen immer einsamer, oder wie schaffen wir es, Gegensteuer zu geben?
Arlt: Ich denke, es ist auf jeden Fall sehr wichtig, dass wir weiterhin über Einsamkeit reden, und das auch in die Gesellschaft holen. Warum sich nicht einfach mal an die eigene Nase fassen und im eigenen Umfeld Leute fragen, wie es ihnen wirklich geht. Ein guter Weg wäre zum Beispiel auch, Initiativen und Hilfsangebote zu stärken, sich einzubringen, etwa bei Telefonhotlines oder Angeboten wie dem von Heike Goebel. Solche Gespräche wie dieses Interview oder ein Austausch wie der Sammelband sind ein wichtiger Ansatz, um sich über unterschiedliche Gruppen hinweg und mit verschiedenen Erfahrungshorizonten über Einsamkeit zu unterhalten.
Newiak: Ich wollte zum Schluss noch einen Gedanken erwähnen, der mir sehr wichtig ist und der meine aktuelle Forschung berührt. Wenn man das Thema der Einsamkeit unterschätzt, dann kann das manchmal gesellschaftliche Effekte haben, die wir vielleicht nicht direkt damit assoziieren, beispielsweise das Aufkommen von Verschwörungsideologien. Während der Corona-Pandemie gab es eine grosse Zahl an Leuten, die in geistige Parallelwelten abgedriftet sind. Ich bin sicher, dass das auch etwas mit dem Wunsch nach Gemeinschaft zu tun hat. Auch den politischen Extremismus muss man in diesem Kontext sehen. Manche fühlen sich eben von der Modernisierung nicht mitgenommen und suchen sich dann aus ihrer Einsamkeit heraus Verbündete. Das sind gefährliche Kollateralschäden, die entstehen, wenn man dieses Thema nicht aufmerksam genug beobachtet.
Das Gespräch führte Ingrid Hess
«Einsam in Gesellschaft – Zwischen Tabu und sozialer Herausforderung», transcript Verlag, Hrsg. Leon Arlt, Nora Becker, Sara Mann, Tobias Wirtz, 31. 12. 2022; BPB-Shop
Kompetenznetz Einsamkeit
Das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) setzt sich mit den Ursachen und Folgen von Einsamkeit auseinander und fördert die Erarbeitung und den Austausch über förderliche und hinderliche Faktoren in der Prävention von und Intervention bei Einsamkeit in Deutschland. Dazu verbindet das KNE Forschung, Netzwerkarbeit und Wissenstransfer. Das Projekt hat zum Ziel, das bestehende Wissen zum Thema Einsamkeit zu bündeln Wissenslücken zu schliessen und gewonnene Erkenntnisse in die politische und gesellschaftliche Praxis einfliessen zu lassen. Inzwischen wurde eine Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit erarbeitet. Sie beinhaltet zahlreiche Massnahmen, um Einsamkeit vorzubeugen und zu lindern. Link: kompetenznetz-einsamkeit.de