Draussen für das innere Wohlbefinden
Die Aufsuchende Soziale Arbeit ist ein niederschwelliges Arbeitsinstrument der Dienststelle Soziokultur der Stadt Wädenswil. Während 40 Arbeitsstunden pro Woche werden Unterstützungsangebote gemacht, und zwar dort, wo sich viele Menschen aufhalten: im öffentlichen Raum.
Sozialpädagoge Hasan Memeti schnallt sich die leuchtend gelbe Tasche um und tritt mit seinem Arbeitskollegen Martin Bannwart aus dem zentral gelegenen Gebäude im Wädenswiler Ortskern. Der «jailhouse-bag», im Gefängnis Pöschwies upcycelt aus alten Planen, wirkt hier als Erkennungszeichen für die Aufsuchende Soziale Arbeit einer 2019 neu geschaffenen Stelle: der Dienststelle Soziokultur. Neben den Handlungsfeldern Quartierarbeit, Treffpunktarbeit, Projekte/Veranstaltungen und Beratung/Information fungiert sie als fünftes Handlungsfeld und wird wöchentlich für insgesamt 40 Stunden in der rund 25 000 Einwohnerinnen und Einwohner starken Gemeinde am linken Zürichseeufer geleistet. Ressourcen, die in den Augen von Memeti gut investiert sind. «Die Intensität und die Regelmässigkeit wirkt sich positiv auf den Beziehungsaufbau mit unseren Adressaten aus. Und damit auf die Basis Sozialer Arbeit.»
Kurz tauschen sich die zwei Mitarbeitenden über die Route aus, sie sind ein eingespieltes Team. «Je nach Ziel richten wir den Fokus auf eine Bevölkerungsgruppe», erklärt Bannwart; an diesem Dienstagabend sind es Jugendliche und Erwachsene. Erstere kreuzen bereits nach wenigen Schritten den Weg, begrüssen die Sozialarbeitenden per Handschlag. Es folgt eine kurze Absprache über das weitere Vorgehen für eine geplante Initiative: Die zwei 14-Jährigen setzen sich für den Bau einer Pumptrack-Anlage ein. «Dass ich in ihrem Lebensraum auftauche, macht vieles unkomplizierter», betont Memeti. Die Spontaneität komme ihnen entgegen. «Wenn sie sich aktiv einbringen können, fällt es ihnen danach auch leichter, Verantwortung zu übernehmen.» Der 32-Jährige, in der Dienstelle dem Fachbereich «Jugend» zugeteilt, kennt die Sorgen und Nöte der Teenager. Bannwart, dem Bereich «Erwachsene» zugeteilt, ist spezialisiert auf diejenigen der älteren Bewohnenden. Gemeinsam unterwegs, profitieren sie vom Hintergrundwissen des jeweils anderen.
Synergie durch agile Struktur
Aurel Greter, Leiter der Dienststelle Soziokultur, sieht genau darin einen Vorteil: «Die Idee der Dienststelle Soziokultur ist es, durch agile Strukturen Synergien nutzen zu können und gleichzeitig ein Angebot für Bevölkerungsgruppen jeglichen Alters zu schaffen.» So werden die Adressatengruppen in die Bereiche Kind und Familie, Jugend, Erwachsene und Seniorinnen und Senioren aufgeteilt, was eine Begleitung in allen Lebensphasen ermöglicht. «Für Kinder und Jugendliche besteht oft ein Angebot. Für Erwachsene allerdings oft erst dann, wenn sie Sozialhilfe beziehen oder kriminell werden», erklärt der 39-Jährige. Mit der Dienststelle Soziokultur soll diesem Phänomen entgegengewirkt und sollen kritische Übergänge wie derjenige zwischen Schule und Erwerbsleben fliessend begleitet werden.
Die Frühlingssonne steht hoch am Himmel, während die Aufsuchende Soziale Arbeit niederschwelligen Zugang schafft. Auf dem grosszügigen Kiesplatz direkt am See, flankiert von zwei gemütlichen Gastgewerbebetrieben, sind alle Bänke besetzt, auf dem Spielplatz werden Kinder auf Schaukeln angestossen. Direkt daneben, auf der Hafenmauer, ist ein inoffizieller Treffpunkt für Menschen, deren Anwesenheit nicht immer geschätzt wird. Psychische Erkrankungen, Sozialhilfe, IV, Suchterkrankungen und ökonomische Schwierigkeiten sind Themen, die sich hier die Hand reichen. Die Sozialarbeitenden finden schnell Zugang, man kennt sich, grüsst mit Vornamen. Innert Kürze werden sie in Gespräche verwickelt. Bier zirkuliert in Dosen und Flaschen, Yuna* klagt über gesundheitliche Probleme, Alex* plagen Unstimmigkeiten mit den Sozialen Diensten und Handwerker Jens* sucht in einer netten Runde Entspannung nach einem anstrengenden Arbeitstag. Sie alle haben eines gemeinsam: Die Hafenmauer ist ihr ausgelagertes Wohnzimmer.
Sozialräume schützen
«Dieser Platz ist gerade für Personen, die eher am Rand unserer Gesellschaft stehen, ein wichtiger Sozialraum», unterstreicht Memeti diese Tatsache mit Worten. «Was als unkomplizierter Kontakt vor Ort beginnt, kann zu einer wertvollen Begleitung wachsen», fügt Bannwart an. Ist der Weg zu einer behördlichen Instanz zu steinig, wird er zum Beispiel durch eine persönliche Begleitung geebnet. «So finden die Personen wieder Zugang zum Sozialsystem und können von Unterstützungsleistungen profitieren.» Ein Vorgehen, das nur durch Beziehungsarbeit möglich sei. Die Lautstärke und das zirkulierende Bier führen allerdings hin und wieder zu Reibungspunkten mit anderen Nutzergruppen. «Wird eine Gruppe als störend empfunden, soll sie oft einfach wegplatziert werden», ordnet Dienststellenleiter Greter ein. Öffentlicher Raum sei aber öffentlich, weil er allen zugänglich sein sollte. «Dass auch die als störend empfundene Gruppe Teil unserer Gesellschaft ist, geht dann gern vergessen.»
Der Kies knirscht unter den Füssen, bald wechselt der Ton zum dumpfen Geräusch betonierter Trottoirs. Jugendliche kreuzen den Weg, werden freundlich mit Namen gegrüsst. Sie grüssen ebenso zurück, ziehen aber vorbei. «Die Körpersprache zeigt oft, ob Kontakt erwünscht ist oder nicht», so Bannwart, diese Signale würden akzeptiert. Bei der nächsten Gruppierung am Bahnhof zeigt sich das Gegenteil: Von Weitem wird nach den Sozialarbeitenden gerufen. Wieder fliesst viel Bier an diesem frühen Werktagsabend. «Das sind gute Menschen», sagt Paul*, darauf angesprochen, warum er die Sozialarbeitenden herangewinkt habe. Sie hätten immer Zeit zuzuhören. Ein offenes Ohr, das ihm hilft, die Schwierigkeiten in seinem Leben etwas leichter werden zu lassen. Groll gegenüber staatlichen Instanzen, eine Kindheit, die Narben hinterlassen hat: «Die Lebensgeschichten sind vielfältig und oft schwer», sagt Bannwart dazu. Aktives Ausfragen sei in einem solchen Fall kontraproduktiv. «Allerdings besteht oft Redebedarf, was wiederum ein gutes Mass an Abgrenzung unsererseits fordert.» Wichtig sei in der Begegnung ausserdem, sich seiner eigenen Wirkung bewusst zu sein, fügt Memeti an. «Wir stören das bestehende Gruppengefüge.» Eine Störung, die durchaus positiv sein kann: Die Sozialarbeitenden bringen Ressourcen mit, auf die sich Menschen wie Paul* stützen dürfen.
Unterstützung versus Kontrolle
Ein paar Hundert Schritte weiter führt der Weg auf den Schulhausplatz, am Boden liegen Zigarettenstummel: Littering, ein Problem, das oft an Jugendarbeitsstellen delegiert wird. «Aufgabe der Aufsuchenden Sozialen Arbeit ist nicht diejenige einer Kontrollinstanz. Stimmt die Beziehung, nehmen Jugendliche Hinweise zu rumliegendem Abfall eher an und erkennen, dass sie etwas dafür tun müssen, um an einem Platz bleiben zu dürfen», führt Memeti aus. Sich im öffentlichen Raum aufzuhalten, bringe nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich. «Wir vermitteln bei Nutzungskonflikten, leisten einen Beitrag an die soziale Sicherheit und ein friedliches Miteinander», betont Bannwart. Memeti öffnet die leuchtend gelbe Tasche, zeigt deren Inhalt Stück für Stück. Ein Notfallset, Aktivkohlefilter zur Schadensminderung, Flyer mit Hilfsangeboten und solche mit Hinweisen zu anstehenden Anlässen. Der «jailhouse-bag», von aussen Erkennungszeichen, ist im Innern ein Hinweisgeber, wie Aufsuchende Soziale Arbeit funktioniert: als niederschwelliges Unterstützungsangebot für eine selbstbestimmte, möglichst gesunde Teilhabe an der Gesellschaft.
*Name geändert