«Der Integrationsauftrag der Sozialhilfe»

04.09.2022
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Die Sozialhilfe als sogenanntes letztes Netz der sozialen Sicherheit hat zum Ziel, die wirtschaftliche Existenz von Menschen, die sich in einer Notlage befinden, zu sichern. Diese finanzielle Absicherung ermöglicht es, die weiteren Schritte zu planen. Denn die Sozialhilfe sieht sich vielmehr in der Pflicht, die Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben zu ermöglichen. Dies sind letztlich die Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Die Wiedererlangung der Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen ist also das Ziel.

Mit diesem ganzheitlichen integrativen Auftrag der Sozialhilfe werden Begriffe der Nachhaltigkeit und der sozialen Integration verbunden. Denn erst, wenn die Sozialberatung und -hilfe es den Menschen ermöglicht, langfristig selbstständig zu sein, ist sie wirksam. Das heisst, Investitionen in den Menschen sind immer dort vorzusehen, wo sie Sinn ergeben. Wenn eine Jugendliche einer unterstützten Familie die Empfehlung für das Gymnasium erhält, muss die Sozialhilfe ihr diesen Weg ermöglichen, auch wenn es bedeutet, dass die wirtschaftliche Hilfe länger andauern wird, als wenn sie eine Lehre machen würde. Oder wenn eine alleinerziehende 40-jährige Mutter die Eintrittsprüfungen für ein Bachelorstudium schafft, darf die Sozialhilfe diesen Ausbildungsweg ermöglichen. Denn so investiert sie in eine längerfristige und nachhaltige Selbstständigkeit der von der Sozialhilfe unterstützten Mutter.

So vielfältig und komplex die Lebenssituation der unterstützten Personen ist, so herausfordernd ist der Integrationsauftrag für die Fachleute in den Sozialdiensten. Damit sie diesen Auftrag überhaupt erfüllen können, müssen ihnen entsprechende Instrumente und Angebote zur Verfügung gestellt werden. Lange ging das Paradigma der beruflichen Integration über alles. Dies mit dem Ziel, möglichst schnell den Anschluss in den ersten Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Die Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass die Erlangung dieses Ziels auch Umwege beinhalten darf bzw. in bestimmten Fällen beinhalten muss: Den Umweg über eine Ausbildung, den Umweg über die Stabilisierung der gesundheitlichen Situation und den Umweg über das Lernen von Grundkompetenzen. Dabei sollte die Dauer des Umwegs keine Rolle spielen, zentral ist nur, dass sich die Menschen auf einem Weg befinden, der ihnen die Teilhabe an und in der Gesellschaft ermöglicht.

Den Fokus auf diese Teilhabe und diesen Integrationsauftrag zu richten, bedeutet ferner auch, Freiwilligenarbeit, Familienarbeit, Care-Arbeit als integrative Tätigkeiten, die Ressourcen mobilisieren und einen gesellschaftlichen Nutzen haben, zu akzeptieren.

In diesem Sinne ist der Integrationsauftrag der Sozialhilfe mehrdimensional und dynamisch. Er nimmt Rücksicht auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen und bestärkt die Sozialarbeitenden in ihrem berufsethischen Verständnis.

Corinne Hutmacher-Perret
Leiterin Fachbereich Grundlagen
Stv. Geschäftsführerin SKOS