Praxisbeispiel

Berufliche Integration von Minderjährigen – Auflagen und Sanktionen

04.09.2021
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Die wirtschaftliche Sozialhilfe hat zum Ziel, bei der sozialen und beruflichen Integration unterstützend zu wirken. Es stellt sich daher die Frage, ob auch Kinder und Jugendliche von Sozialhilfebeziehenden den Anforderungen nachkommen müssen.

Ein 16-jähriger Jugendlicher lebt mit drei jüngeren Halbgeschwistern zusammen bei seiner Mutter. Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit hat er das 10. Schuljahr begonnen. Auf Nachfrage sagt die Mutter, dass er das 10. Schuljahr vor eineinhalb Monaten abgebrochen habe. Dies, weil er erst etwas Zeit brauche, bevor er sich auf seine berufliche Zukunft einlassen könne. Er sei zu Hause, helfe im Haushalt und betreue ab und zu die jüngeren Geschwister. Für sie sei das so in Ordnung, sie wolle ihn nicht drängen.

→ Fragen

1.    Sind Auflagen für den Jugendlichen und/oder die Mutter zulässig?

2.    Kann der Jugendliche und/oder die Mutter sanktioniert werden?

 → Grundlagen

Die wirtschaftliche Sozialhilfe hat zum Ziel, die Existenz von bedürftigen Personen zu sichern, die persönliche und wirtschaftliche Selbständigkeit zu fördern und bei der sozialen und beruflichen Integration zu unterstützen. Personen, die mit wirtschaftlicher Sozialhilfe unterstützt werden, haben die Pflicht, zur Minderung ihrer Bedürftigkeit beizutragen (SKOS-RL A.2). Namentlich indem sie ihren Beitrag zur beruflichen und sozialen Integration leisten (SKOS-RL A.4.1). Wirtschaftliche Sozialhilfe kann zum Erreichen dieser Ziele mit Auflagen oder Weisungen verbunden werden. Auflagen müssen sich auf eine rechtliche Grundlage stützen und dem Zweck der Sozialhilfe dienen. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist zu beachten (SKOS-RL F.1).

Kürzungen der wirtschaftlichen Sozialhilfe sind bei ungenügenden Integrationsanstrengungen grundsätzlich möglich. Als Sanktion gekürzt werden kann nicht nur der Grundbedarf, sondern alternativ oder ergänzend auch Zulagen (SIL, EFB) oder fördernde situationsbedingte Leistungen. Die Kürzungen müssen sich auf eine gesetzliche Grundlage stützen und verhältnismässig sein. Die Auswirkungen einer Kürzung auf Kinder und Jugendliche sind zu berücksichtigen (SKOS-RL F.2). Die Eltern sind für die Erziehung zuständig und verschaffen dem Kinde eine angemessene Ausbildung. Dafür haben sie in geeigneter Weise mit der Schule und, wo es die Umstände erfordern, mit der öffentlichen und gemeinnützigen Jugendhilfe zusammenzuarbeiten (Art. 302 ZGB).

→ Antworten

Im vorliegenden Falle geht es um die berufliche Integration des noch minderjährigen Jugendlichen. Damit diese gut gelingt, hängt vieles von der Motivation des Jugendlichen ab. Deshalb ist in einem ersten Schritt immer ein einvernehmliches Vorgehen anzustreben, bspw. mit einer Zielvereinbarung. Scheitert dieser Weg, ist eine an den Jugendlichen adressierte sozialhilferechtliche Auflage trotz Minderjährigkeit nicht ausgeschlossen. Dies, weil ein 16-Jähriger die verfahrensrechtlichen Anforderungen erfüllt, um Adressat einer Auflage sein zu können. Verhältnismässig ist die Auflage jedoch nur, wenn er deren Zweck erfasst und versteht, welches Verhalten warum von ihm verlangt wird, und ihm deren Erfüllung zumutbar ist. In der Auflage verlangt werden kann die Wahrnehmung von spezialisierter Beratung und Begleitung, eine Anmeldung beim RAV oder die Teilnahme an Förderprogrammen.

Die Mutter ist in den Prozess einzubinden. Wo dies nicht einvernehmlich möglich ist, ist zu prüfen, ob eine an die Mutter gerichtete Auflage geeignet ist, die berufliche Integration ihres Sohnes zu unterstützten. Das deckt sich mit den sozialhilferechtlichen Zielsetzungen. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, die Mutter bspw. dazu zu verpflichten, sich spezifisch beraten zu lassen und Angebote der Jugendhilfe aufzusuchen. Im Weiteren erscheint es sinnvoll, die Mutter anzuhalten, in regelmässigen Abständen und gestützt auf die Mitwirkungs- und Informationspflichten unaufgefordert über die Entwicklung des Sohnes zu berichten.

Allfällige Kürzungen der Unterstützungsleistungen für den Jugendlichen oder die Mutter müssten so gestaltet werden, dass sie primär diesen treffen und nicht etwa die anderen Kinder in der Unterstützungseinheit. Für den Jugendlichen bedeutet das, dass die verlangten Bemühungen primär mit einer Integrationszulage zu verbinden sind, die bei Nichterfüllen der Auflage gestrichen werden kann. Wo dies nicht möglich oder zielführend ist, kann auch eine Kürzung des Grundbedarfs geprüft werden. Auch eine Anrechnung von konkret verfügbaren, aber ausgeschlagenen Einnahmen ist zu prüfen (SKOS-RL F.3).

Claudia Hänzi
Präsidentin SKOS-Kommission Richtlinien und Praxis

Praxis

In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen beantwortet und publiziert, die der SKOS im Rahmen ihrer Beratungsangebote gestellt werden.

Weitere Informationen unter skos.ch →  Beratung für Institutionen.